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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

war, wieder erholt; er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfürsten, doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu dem Resultat gelangt war, daß nur ein frommer protestantisch-mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub im heulenden Predigerton auf italienisch an: „Siehe da, ein Sohn der Babylonischen, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angethan mit Seide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!“

„Ist der Mensch ein Narr?“ fragte der Kardinal, indem er näher trat und den Prediger ruhig und groß anschaute. „Piccolo, merke dir diesen Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen.“

Der Pietist geriet in Wut: „Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!“ schrie er, „du willst mich ins Spital thun? Ha, jetzt kommt der Geist erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! Ich will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur ab, zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Thor! das sind die eiteln Lehren des Antichrist, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt, in Sack und Asche mußt du Buße thun.“

Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen, seine Wangen glühten. „Jetzt sehe ich, Kapitän!“ rief er, „was Euch so lange zögern macht; Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha! bei der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekränkt.“

„Herr Kardinal!“ fiel ihm Herr von S. in die Rede, „ich bitte, uns nicht alle in Eine Klasse zu werfen; wenn jener Mann dort den Trieb in sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran verhindern; doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen, denn Ew. Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle Welt überschwemmt.“

Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen; jetzt galt es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu [393] lassen. „Herr von S.“, sagte ich, „der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gebe. Zwar schließt mich mein Bewußtsein von den ‚wahnsinnigen Ketzern‘ aus, ich mache keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen können –“

„Stille!“ rief der Pietist mit feierlicher Stimme; „Bruder, Mann Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer, aber es wäre ihm besser, ein Mühlstein hänge an seinem Hals, und er würde ertränket, wo es am tiefsten ist.“

„Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen“, ist ein altes Sprüchwort, und der Kapitän mochte auch so denken; ich sah, daß Beschämung vor uns, von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesicht kämpfte.

„Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz“, entgegnete er; „diesen Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann er will, denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel, aber über diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr von S. besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen wollen.“

Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte er ihn nur noch mehr auf, doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben, und seine stille Wut wurde nur in kaltem Spott sichtbar. „Ja, ich habe mich freilich höchlich geirrt“, sagte er lächelnd, „und bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse Gegenstände, doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind, was Sie herführt. Herr von S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen? Trefflich! ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, es ist ihm gleichgültig; ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano! daß Sie sich von demselben Mann zurückführen lassen, der Sie so geschickt aus dem Sattel hob!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 392–393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)