Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 201.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

der Signora Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fräulein sei ihm unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause des Kapitäns auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine höhere Leitung, gefügt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche zurücktreten, sondern auch als reuiger Sünder zu ihr zurückkehren wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Lächeln auf ihren schönen Zügen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude, sie habe mit tausend Thränen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem Garten zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht heiter; eine sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung habe sie befallen, sie habe ihm gestanden, daß sie der Gedanke an den Fluch ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitäns werde, immer verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst so kindlich frohen Seele, als fürchte sie trotz der Rückkehr des Geliebten dennoch nicht glücklich zu werden.

Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das ganze weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genähert. Er lag, von Bäumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco empfing uns mit ihren Hündlein aufs freundlichste; sie erzählte, daß sie das deutsche Geplauder der Versöhnten nicht mehr länger habe hören können und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden würden. Errötend, mit glänzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schönen Gesicht, trat uns das Fräulein entgegen. Der Kapitän aber schien mir ernster, ja, es war mir, als müßte ich in seinen scheuen Blicken eine neue Schuld lesen, die er zu den alten gefügt.

Dem Berliner war wohl das Schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das schöne Mädchen für seine eifrigen Bemühungen ausdrückte. Sie umfing ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen, und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblick gefühlt, wie die höchste Lust mit Schmerz sich paaren könne. Mir, ich gestehe es, war diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nähere Beschreibung davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine Stelle aus Jean Pauls „Flegeljahren“ einschieben, die den Leser weniger langweilen [399] dürfte: „Selige Stunden, welche auf die Versöhnung der Menschen folgen! Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich, der Geliebte neu und verklärt, das Herz feiert seinen Mai, und die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen Krieg nicht.“ So sagt dieser große Mensch, und er kann recht haben, aus Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen, nicht mehr geliebt, und mit der Versöhnung will es nicht recht gehen.

Bei jener ganzen Szene ergötzte ich mich mehr an der Erwartung als an der Gegenwart. Wenn jetzt mit einemmal, dachte ich mir, Frater Piccolo durch die Bäume herbei käme, um seinen Wechsel honorieren zu lassen, – welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitän, welches Staunen, welcher Mißmut bei dem Fräulein! Ich dachte mir allerlei dergleichen Möglichkeiten, während die andern in süßem Geplauder mit vielen Worten nichts sagten – da hörte ich auf einmal das Plätschern von Rudern in der Tiber. Es war nach sechs Uhr, es war die Stunde, um welche ich Frater Piccolo hieher bestellt hatte; wenn er es wäre! – Die Ruderschläge wurden vernehmlicher, kamen näher, weder die Liebenden noch der Berliner schienen es zu hören. Jetzt hörte man nur noch das Rauschen des Flusses, die Barke mußte sich in der Nähe ans Land gelegt haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hörte Stimmen in der Ferne, es rauschte in den Bäumen, Schritte knisterten auf dem Sandweg des Gartens, ich sah mich um – Donna Ines und der Kardinal Rocco standen vor uns.

Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei, und sank lautlos zurück, indem sie die schönen Augen und das erbleichende Gesicht in den Händen verbarg. Der Kapitän hatte den Kommenden den Rücken zugekehrt und sah also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich um, er begegnete zornsprühenden Blicken der Donna, die diese Gruppe musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefühl seiner Schande, die Angst, die Verwirrung schnürten ihm die Kehle zu.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 398–399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_201.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)