Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 219.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Finden Sie das och?“ erwiderte sie anmutig lächelnd. „Ja, man hat mir schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie, ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf diese Art meinen Jeist und mein Orkan aus.“

„Was lesen Sie? wenn man fragen darf.“

„Nu, Bellettres, Bücher von die schöne Jeister; ich bin abbonniert bei Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der Weißen Schlange, und der verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher.“

„Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?“

„Nee, das thu ich nicht. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte in Frankfort; es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich natürlich jenug. Nee, den Jöthe lese ich nie wieder! Das is was Langweiliges. Und seine Wohlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke; wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu die Baronin, – ach, man kann’s jar nicht sagen, und jedes stellt sich vor –“

„Ich erinnere mich, ich erinnere mich; aber es liegt gerade in diesem Gedanken eine erstaunliche Tiefe – ein Chaos von Möglichkeiten –“

„Nu, kurz, den mag ich nich; aber wer mein Liebling ist, das is der Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens und namentlich des weiblichen Jemüts, ach, es is etwas Herrliches. Und dabei so natürlich! Wenn mir die andern alle vorkommen, wie schwere vierhändige Sonaten mit tiefen Baßpartien, mit zierlichen Solos, mit Trillern, die kein Mensch nicht verstehen und spielen kann, so wie der Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkurat so vor wie ein anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest; es ist etwas Herrliches!“

„Fahren Sie fort, wie gerne höre ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen Schriftsteller über alles. Diese andern, besonders ein Schiller, wie wenig hat er für das Vergnügen der Menschheit gethan. Man sollte meinen, er wolle moralische Vorlesungen [435] halten; er ist, um mich eines anderen Gleichnisses zu bedienen, schwerer, dicker Burgunder, der mehr melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! Er kommt mir vor wie Champagner und zwar wie unechter, den man aus Birnen zubereitet; der echte verdunstet gleich, aber dieser unechte, setzt er auch im Grunde viel Hefen an, so ‚brüsselt‘ er doch mit allerliebsten tanzenden Bläschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein.“

„O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unseren Clauren vormachen mit Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Hälfte, jießt Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht; ich werfe Zucker in das Janze, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet, wie es sprudelt und brüsselt, wie anjenehm schmeckt es nicht, und ist ein wohlfeiles Jetränke. Nee, ich muß sagen, er ist mein Liebling. Und das Anjenehmste is das, man kann ihn so lesen, ohne viel dabei zu denken, man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Körper, der ins Buch schaut, als der Jeist. Und wie angenehm läßt es sich dabei einschlafen!“

„Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespräch begriffen“, rief lachend der alte Jude, indem er, den Desaster an der Hand, zu uns trat. „Nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding zur Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag.“

„Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner haben wohl tiefe Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hören; wie werden sie in der nächsten Woche stehen, die Metalliques? Recht hoch? Hab’ ich es erraten?“

„Stille, Kind, stille! Kein Wort davon! Muß alles geheimgehalten werden! Muß Einen großen Schlag geben. Ist ein Goldmännchen, der Herr von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klären ihr alles auf. Sie ist auf diesem Punkt ein verständiges Kind und weiß zu rechnen, die Rebekkchen.“

Was schlich denn jetzt durch das Gras? Was hüpfte auf zierlichen Beinchen heran? Was lächelte schon von weitem so freundlich nach der Kalle des Herrn Simon? War es nicht das Gräfchen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 434–435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_219.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)