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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ehrlichen, seufzenden Sohn Merkurs aus Dessau zu einem Teufelskind machte. Der erste Schritt vom ehrlichen Mann zum schlechten oder Betrüger ist an sich klein und dennoch bedeutend, weil man leicht sozusagen in Schuß kömmt und unaufhaltsam bergab, bergab geht, anfangs im Trott, nachher im Galopp. Mein guter Seufzer hatte sein bedeutendes Vermögen mit einem ehrlichen Gemüt geerbt. Er ging in seinen Geschäften den geraden, ehrlichen Weg, nicht weil er ihm angenehmer war, sondern weil er es unbequem finden mochte, Winkelzüge und Umwege zu machen.

Es ist dies die Ehrbarkeit, die Tugend, die nie auf der Probe war und daher ein negativer Begriff, ein Nichts, auf jeden Fall keine Tugend ist.

Nicht der Geldgewinn, er ist ziemlich zufrieden mit seinem Los, sondern die Liebe zu der schönen Kalle des alten Simon macht ihn straucheln, oder vielmehr, wie Gelegenheit Diebe macht, die süße Art, wie ich es ihm eingab; jetzt ist er, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, aus dem ehrlichen Mann ein Betrüger geworden; er wird, weil es ihm diesmal leicht wird, zu betrügen, das nächste Mal Ähnliches versuchen; das Gewissen, die Ehrlichkeit, die Ruhe, die Selbstzufriedenheit ist ja doch schon zum Teufel, warum soll er sich also genieren? Der große Gewinn für mich liegt aber darin, daß die ersten Versuche des ehrlichen Mannes, ein Betrüger zu werden, gewöhnlich gut ausfallen und zur Wiederholung locken; denn wer mit mir Geschäfte macht, kann, solange es thunlich ist, darauf rechnen, sie mit Glück zu machen, und unglückliche Spekulanten, von denen die Sage geht, daß sie sich erhängt oder ersäuft haben, hatten durch Reue und Selbstanklage den Kopf verloren, hatten mir zu wenig vertraut, und nicht ich war es, der sie verließ, sie hatten sich selbst verlassen.

Doch, wo gerate ich hin? Habe ich mich von dem dicken Pfarrer anstecken lassen, zu moralisieren? Ist es denn mein Zweck, mit psychologischen Abhandlungen meinen Leser zu ermüden oder sogar abzuschrecken? Oder wie, ließ ich mich etwa von den Winken einiger gelehrten Leute verführen, die behaupteten, es liege zu wenig psychologische Teufelei oder teuflische Psychologie in [441] meinen Memoiren?[1] Ich sei für einen deutschen Schriftsteller, als welchen ich mich im Leipziger Meßkatalogus einregistrieren lassen, nicht gründlich genug?

„Der Teufel soll es holen!“ möchte ich mir selbst zurufen; sobald man vom Wege abgeht, gerät man immer mehr auf Abwege, so auch im Niederschreiben von Memoiren. Ich werde kurz sein.

Ich hatte durch meine dienenden Kleinen erfahren, welche Gedanken der Reis-Efendi in einer Privatunterredung mit Herrn von Minciaky über das russische Ultimatum geäußert; ja, um redlich zu sein, ich hatte selbst großen Anteil an jener Wendung der Dinge, weil mir dadurch das sogenannte Gleichgewicht etwas auf die Spitze gerückt zu werden schien und mehr Leben in das schlummernde Europa kommen konnte, das von Revolutionen und anderen lustigen Artikeln nur träumt und im Schlafe spricht. Ich hatte diese Nachricht früher vernommen, als sie selbst nur nach Petersburg kommen konnte, und in meiner Hand lag es, die Papiere steigen oder fallen zu machen. Der Vater der schönen Rebekka hatte in den letzten Tagen auf meinen Rat und seine eigene Einsicht hin seine Papiere so umgesetzt, daß er beim geringsten Steigen der – – auf großen Gewinn zählen konnte. Große Spannung herrschte in dem Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Der Alte versicherte, seine Gebeine erzittern, so oft er ansetze, einen wichtigen Brief zu schreiben; die Tante, das neidische Gewölk, mochte ahnen, was vorging, und schlich trübe und ächzend im Haus umher; die Kalle war die mutigste von allen. Zwar war auch sie in einiger Bewegung, denn sie las nicht mehr, weder in Clauren noch in verschiedenen Almanachs, sogar das Modejournal wollte sie nicht ansehen; sie spielte auch nicht mehr auf der Harfe, aber doch trug sie das Köpfchen noch so hoch wie zuvor und ermutigte durch manche Rede die zagenden Bundestruppen.

Der Seufzer war gänzlich vom Verstand gekommen. Bald war er tiefsinnig und zweifelte an seinem Glück, besonders in der


  1. Dieser Vorwurf wurde Hauff von dem Kritiker des „Gesellschafters“ in Nr. 79–80 dieser Zeitschrift von 1826 gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 440–441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_222.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)