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wenig Schmerz leiden. Die geschmackvolle Etagere[WS 1] dort haben Sie gewiß selbst erst aus der Residenz geschickt, denn hier wüßte ich niemand, der solche Arbeit lieferte!“

Das ging ja dem alten Herrn aus dem Mund wie Wasser, schade nur, daß er den tauben Wänden predigte, denn Ida schaute stillverklärt durch die Scheiben und hatte weder Augen noch Ohren für ihren alten Freund; dieser sah sich um, sah das Hinstarren des Mädchens, folgte ihrem Auge und – drüben in der ersten Etage des ehrsamen Gasthofes zum goldenen Mond hatten sich die rot und weißen Gardinen aufgethan, und im geöffneten Fenster stand – nein, er machte es gerade zu, als der Hofrat hinsah, und ließ die Gardine wieder herab; das selige Kind drehte jetzt das Köpfchen, und ihr Blick begegnete dem lauernden Auge des Hofrats. Die Flammenröte schlug ihr ins Gesicht, als sie sich so verraten sah, aber dennoch sagte Trotzköpfchen kein Wort, sondern arbeitete eifrig an einer Zentifolie[WS 2]; nun, dachte der Alte, wenn du es durchaus nicht anders haben willst, auf den Zahn muß ich dir einmal fühlen, also sei’s:

„Sie haben brave Nachbarschaft, Ida“, sagte er, „da können Sie Ihre astronomischen Beobachtungen nach den Glutsternen des Herrn von Martiniz recht kommode[WS 3] anstellen; ich habe zu Haus einen guten Dollond[1], er steht zu Diensten, wenn Sie etwa –“

„Wie Sie nur so bös sein können, Berner!“ klagte das verschämte Mädchen, „wahrhaftig, ich habe bis auf diesen Augenblick gar nicht gewußt, daß er nur im Mond logiert; und daß ich gestern diesen Mann schon wegen seines Äußeren gehaltvoller gefunden habe als unsere jungen Herren hier, um die ich nun einmal kein Flöckchen Seide gebe, ist das denn ein so schweres Verbrechen, daß man es noch am andern Tag büßen muß? Ist es denn so arg, wenn man Mitleiden hat mit einem Menschen, der so unglücklich scheint?"

„Nun, da bringen Sie mich just auf den rechten Punkt“, [45] sagte der Hofrat, „daß der junge Herr im Mond drüben gestern nacht in der Münsterkirche war, habe ich Ihnen gesagt; aber was er dort that, das wissen Sie nicht, und was bekomme ich, wenn ich es sage?“

„Nun, was wird er viel dort gethan haben?“ antwortete Ida, vergeblich bemüht, ihre Neugierde zu bekämpfen; „er hat sich wahrscheinlich die Kirche zeigen lassen, wie die Fremden auf der Durchreise immer thun.“

„Durchreise? als ob ich nicht wüßte, daß Herr von Martiniz die drei Zimmer Ihnen gegenüber auf vier Wochen gemietet hat –“

„Auf vier Wochen?“ rief Ida freudig aus, erschrak aber im nämlichen Augenblick über die laute Äußerung ihrer Freude. „Vier Wochen?“ setzte sie gefaßter hinzu, „wie freut mich das für die gute Mondwirtin; sie muß immer Schelte hören von ihrem Mann, daß ihre Table d’hôte[WS 4] nicht so gut sei wie im Hotel de Saxe; und kein Mensch bleibe recht lange, da hat sie nun doch einen Beweis für sich.“

„Die arme Mondwirtin“, spottete der Hofrat, „die gute Seele! muß sie jetzt auch noch zur Entschuldigung dienen, wenn man seine Freude nicht recht verbergen kann! Und um aufs vorige zurückzukommen, Sie glauben also, der Mann im Monde da drüben habe sich als durchreisender Fremder unsern Münster zeigen lassen und dazu die glückliche Stunde nachts von 12–1 Uhr gewählt, habe den Küster mit seiner Laterne alles beleuchten lassen, nur um die Finsternis desto deutlicher zu sehen?“

Der kleine Schalk lachte verstohlen auf seine Arbeit hin und ließ den Hofrat immer fortfahren –

„Heute in aller Früh war ich beim Küster, dem ich vorzeiten einmal einen Prozeß geführt und ein Kind aus der Taufe gehoben hatte; gewiß, ohne diese Empfehlung wäre ich bei dem Alten nicht durchgedrungen; ‚Gevatter!‘ sagte ich zu ihm, ‚er kann mir wohl sagen, was der Fremde, der ihn gestern nacht noch besuchte, im Münster gethan hat?‘ Der Mann wollte von Anfang von gar nichts wissen, ich rief aber meinen alten Balthaser, Sie kennen ihn ja, wie geschickt er ist, alles aufzuspüren, diesen rief ich her


  1. Dollonds, achromatische Fernrohre, genannt nach ihrem Erfinder, dem englischen Optiker John Dollond (1706–61)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Regalähnliches Möbelstück mit zwei oder drei Ebenen für Geschirr oder Bücher.
  2. Rose mit gefüllten Blüten (Wikipedia).
  3. In Süddeutschland und Österreich gebräuchliches Wort für bequem, angenehm.
  4. Das vom Wirt festgelegte Menu zu einem festen Preis für die Gäste eines Gasthofs oder einer Pension, im Gegensatz zu einem Essen à la carte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 44–45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_025.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)