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und des Hemdes ins Auge fällt, da findet gewiß der Gast Gnade vor den Augen der Hausfrau, weil sie selbst immer dieses Zeichen guter Sitte ordnet und aufrecht erhält.

Auch die Freilinger Mondwirtin hatte diesen wahren Schönheitssinn, diese angeborne Vorliebe für schönes Linnenzeug in ihrer oft schmutzigen Wirtschaft noch nicht verloren. Daher der ungemeine Respekt vor dem Gast, als sein Diener ihr die feinen Hemden dutzendweis, bald mit geglockten, bald mit gefältelten Busenstreifen, bald mit, bald ohne Manschetten aus den geöffneten Koffern hinüberreichte. Und als er vollends an die Unzahl von Hals- und Sacktüchern kam, wovon sie jedes zum höchsten Staat in die Kirche angezogen hätte, da vergingen ihr beinahe die Sinne: „Ach, wie fürstlich ist der Herr ausgestattet; das hat gewiß die gnädige Frau Mama ihm mitgegeben?“

„Der thut schon lange kein Zahn mehr weh“, gab Brktzwisl zur Antwort.

„Ist sie tot, die brave Frau, die so schöne Linnen machte?“ sagte die mitleidige Mondwirtin; „aber die gnädige Fräulein Schwestern haben –“

„Hat keine mehr; vor einem Jahr starb die Gräfin Crescenz.“

„Auch keine Schwester mehr? der arme Herr! Aber auf solche exquisite Prachtwäsche verfällt kein junger Herr von selbst; ich kann mir denken, der gnädige Herr Papa Exzellenz –“

„Ist schon lange verstorben“, entgegnete das alte Totenregister mit einem Ton, vor welchem der Wirtin die Haut schauderte. „Der arme junge Herr!“ rief sie, „was hat er jetzt von seinem schönen Linnenzeug, wenn er nach Haus kommt und trifft keine Mutter mehr, die ihn lobt, daß er alles so ordentlich gehalten, und keine Fräulein Schwester, die ihm das Schadhafte flickt und ordnet. Jetzt kann ich mir denken, warum der gnädige Herr immer so schwarz angezogen ist und so bleich aussieht, Vater tot, Mutter tot, Schwester tot, es ist recht zum Erbarmen –“

„Ja, wenn’s das allein wäre“, seufzte der alte Diener und wischte sich das Wasser aus dem Auge, doch, als hätte er schon zu viel gesagt, zog er murrend den zweiten Koffer, der die Kleider enthielt, heran und schloß auf. Die Wirtin hätte für ihr Leben [59] gerne gewußt, was sonst noch für Unglück den bleichen Herrn verfolge, daß der Verlust aller Verwandten klein dagegen aussehe, aber sie wagte nicht, den alten Brktzwisl, dessen Name ihr schon gehörig imponierte, darüber zu befragen, auch schloß der Anblick, der sich jetzt darbot, ihr den Mund.

Die schwarze Kleidung hatte ihr an dem ernsten, stillen Gast nicht so recht gefallen wollen, sie hatte sich immer gedacht, ein buntes Tuch, ein hübsches helles Kleid müßten ihn von selbst freundlicher machen; aber da blinkte ihr eine Uniform entgegen – nein! sie hatte geglaubt, doch auch Geschmack und Urteil in diesen Sachen zu haben; sie hatte in früherer Zeit, als sie noch bei ihrer Mutter war, die Franzosen im Quartier gehabt, schöne Leute, hübsch und geschmackvoll gekleidet; später, als sie schon auf den Mond geheiratet hatte, waren die Russen und Preußen da gewesen, große, stattliche Männer wie aus Gußeisen; freilich hatten sie nicht die lebhaften Manieren wie die frühern Gäste, aber die knappsitzenden Spenzer[1] und Kutkas[2] waren denn doch auch nicht zu verachten; aber vor der himmlischen Pracht dieser Uniform verblichen sie samt und sonders zu abgetragenen Landwehr- und Bürgermilizkamisölern[WS 1]. Sie hob den Uniformsfrack vom Sessel auf, wohin ihn Brktzwisl gelegt hatte, und hielt ihn gegen das Licht; nein, es war nicht möglich, etwas Schöneres, Feineres zu sehen als dieses Tuch, das wie Samt glänzte; das brennende Rot an den Aufschlägen, die herrliche Posamentierarbeit[WS 2] an der Stickerei und den Achselschnüren!

„Das ist die polnische Garde bei uns zu Haus in Warschau“, belehrte sie der alte Diener, dem dieser Anblick selbst das Herz zu erfreuen schien. „Möchte man da nicht gleich selbst in die mit Seide gefütterten Ärmel fahren und das spannende Jäckchen zuknöpfen? Und weiß Gott! so wie mein Herr gewachsen, war keiner unter allen! Der Schneider wollte sich selbst nicht glauben, daß die Taille so fein und schmal sei, gab noch einen Finger zu und


  1. Spenzer ist ein kurzer Oberrock, so nach seinem Erfinder, dem Lord Spencer, benannt.
  2. Kutka oder Kurtka war das Galakleid der polnischen Lanzenreiter; jetzt wird damit ein kurzer, mit Schnuren besetzter Waffenrock bezeichnet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kamisol, eine Unterjacke oder Wams, die unter dem Oberrock getragen wurde.
  2. Posamenten sind Schmuckelemente, wie Borten, Ketten, Tressen, usw.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 58–59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_032.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)