Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 037.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Es ist mir unbegreiflich“, setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, „rein unbegreiflich, wie dieses für alles Schöne und Gute glühende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewöhnlich bei solchen Mädchen über Eiskälte und Phlegma; aber Gott weiß, diesem Mädchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher, auf den Bällen stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Gläser von Nr. 4 und 5, die für Blinde scharf genug geschliffen wären, nach den Reizen der Ballschönen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen und Kotillönchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedörrten Herzkammern; kann solche Lumperei einem jungen, schönen, in der Fülle der Kraft strotzenden Mädchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? Kann man es einem solchen Engelskind, das sich so gut wie jede andere abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Lächeln sein Ideal vormalt und vorträumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen geringachtet und kalt abweist?

Ein solches Mädchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben; habe ich doch über mein Goldmädchen gestern abend solche Urteile hören müssen; geschossen hätte ich mich um sie, wäre ich nur dreißig Jahre jünger gewesen. Sie hätte kein Feuer? Habe ich nicht gesehen, wie sie heute früh, als Sie, Herr Graf, das Kind retteten, das Fenster aufriß und beinahe hinaussprang, aus purem Mitgefühl? Und dieses Mädchen hätte kein Feu–“

„Das hat sie gethan?“ fragte der glückliche Martiniz, bis an die Stirne errötend, „sie hat das Fenster ein wenig geöffnet und herausgesehen?“

„Was öffnen und heraussehen! dazu braucht man zwei Minuten, aber aufgerissen hat sie das Fenster, daß sie mir den Schokoladebecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! Sehen Sie, so ist das Mädchen; Feuer und Leben, [69] wo es etwas Schönes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwärmerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht, aber kalt und abgemessen, wenn die leere, schale Alltäglichkeit sich ihr aufdrängen will.“

Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang, als in seinem tiefen Herzen, aber dort traf er so viele Anklänge, daß dieses wehmütige, traurige Herz, das so lange nichts kannte als die Wehmut und den Kummer heimlicher Thränen, im stillen, aber vollen Jubel aufschwoll und sich stolz wie vorzeiten unter dem Ordensband hob, das es von außen zierte.

Er sagte dem Hofrat, daß er, wenn es möglich wäre, während seines hiesigen Aufenthalts gerne von einem Empfehlungsschreiben an den würdigen Herrn Präsidenten Gebrauch machte, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretär bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzuführen und seine Abende im Umgange mit diesem trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber über den Staatssekretär, der seine Sachen so geschickt einzufädeln wisse; der Graf soll dem Lande bleiben mit seinen drei Milliönchen, aber die Gräfin soll ihn nicht bekommen, dafür steht der Hofrat Berner. Auch er trank jetzt im stillen ein Toastchen und ließ mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die künftige Frau Gräfin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h–

Da brummte in dumpfen Tönen die Glocke vom Münsterturme eilf Uhr. Mit wehmütigem Blick sprang Martiniz auf, stammelte gegen den erschrockenen Hofrat eine Entschuldigung hervor, daß er noch einen Besuch machen müsse, und ging.

Berner konnte sich wohl denken, wohin der unglückliche Junge ging. Mitleidig sah er ihm nach und lehnte sich dann in seinen Stuhl zurück, um über das, was diesen Abend besprochen worden war, nachzudenken; der Graf hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es hatte ihm nicht leicht ein junger Mann so wohlgefallen wie dieser; so viel Grazie und Feinheit des Umganges,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 68–69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_037.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)