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daß er wieder den Menschen angehört, der gute Junge, daß er bei Tag freundlich und gesellig ist und nachts nicht mehr in die Kirche läuft. Ich will davon gar nicht sagen, daß es für seine Gesundheit höchst nachteilig ist, alle Nacht sich vor einem blutigen Gespenst zu fürchten; aber bedenken Sie nur alle andern Unannehmlichkeiten, die ein solcher Umstand mit sich führt. Der Graf, ist er nun so recht im Feuer, so recht, was man sagt, im Zug – gibt es dann einen herrlicheren, angenehmeren Gesellschafter als ihn? Da ist alles Leben, alles Feuer, das sprudelt von dem feinsten Witz, von der zartesten Geselligkeit, und um die Zeit, wo gewöhnlich der Champagnerpunsch, den Sie so trefflich zu bereiten wissen, oder Kardinal und für Liebhaber des Roten auch Bischof aufgesetzt werden soll, wenn man glaubt, jetzt geht es erst recht an, da wird er nach und nach ernster und stiller, zieht einmal um das andere die Uhr aus der Tasche oder läßt sie in der Tasche repitieren[WS 1], daß man glaubt, er habe ein Glockenspiel im Magen, und – hast ihn gesehen – schleicht er sich sans adieu fort und eilt der Kirche zu; der Mondwirtin kann ich es, ob ich gleich die heiligsten, fürchterlichsten Eide dazu schwöre, noch immer nicht begreiflich machen, daß er nicht auf ganz schlimmen Wegen im Dunkeln schleiche. ‚Ich weiß das besser‘, sagt sie immer; ‚im Dunkeln ist gut munkeln – das mache mir ein anderer weis.‘ Und dann, wie unangenehm ist ein solches Verhältnis, wenn der Herr Graf einmal in den heiligen Stand der Ehe sich begeben soll. Zur Zeit, wenn da sein Weibchen ihre Tücher und Tüchelchen, ihre Röcke und Röckchen abgeworfen hat, wenn sie im Hemdchen und Nachtkorsettchen ins Bettchen schlüpft, ganz weit hinüberrückt, um noch einem Zweiten Platz zum –“

„Was weiß ein alter Hagestolz, wie Sie“, unterbrach ihn das Fräulein eifrig, indem sie ihm mit den weichen Patschchen, über und über errötend, eines hinter das Ohr versetzte, die Knie zusammenknipp, schelmisch lächelte und innerlich beinahe platzte: „Was wissen Sie von Nachtkorsettchen und Schlafhäubchen, solche Dinge gehören ganz und gar nicht in Ihr Fach, und der Schuster, heißt ein altes Sprüchwort, der Schuster bleibe bei seinen Leisten.“

[121] „Leider, Gott erbarm’s!“ seufzte und knurrte der alte Kater-Murr-Berner mit komischem Pathos, „leider heißt es bei mir ne ultra crepitam[AU 1], ich darf nichts sehen als die hübschen Füßchen und höchstens, aller – allerhöchstens jahrs einmal ein hübsches Wäd–; doch um wieder auf Martiniz zu kommen. Ich habe hin und her gedacht, ich weiß nur Ein Mittel, wie man ihn der Welt wiedergeben kann. Wir mögen über die Thorheit des Gespensterglaubens an ihn hin predigen, solange wir wollen, er gibt uns recht, und in der Nacht sieht er dennoch wieder sein Phantom. Nein, man muß ihm auf ganz anderem Wege beikommen; Sie, Ida, Sie müssen in der Stunde der Mitternacht zu ihm an den Altar gehen, bei ihm bleiben in den Augenblicken der Angst, und ich stehe davor, er wird so viel an Sie denken, daß das Bild seiner Phantasie verschwindet.“

Ida sträubte sich vor diesem Hülfsmittel mit mädchenhafter Scheue; sie gab dem Hofrat zu bedenken, daß das sich aufdringen heiße; was die Welt dazu sagen werde, wenn sie einem landfremden Menschen in die Kirche nachlaufe, und dies und jenes – aber der Hofrat, der das Mädchen von seiner Kindheit an kannte, sah tiefer. Er sah, wie sich in ihr zwar das Mädchenhafte gegen das Unschickliche, das nach den Begriffen der Welt darin liegen könne, sträube, daß aber das Edle und Große, das sie, nur von wenigen gekannt, tief in der stolzen, jungfräulichen Brust verschloß, schon jetzt diesen Rettungsgedanken mit Wärme ergriffen haben müsse, denn in ihrem Auge sah er jenes stille Feuer ernsten Nachdenkens, ihre Brust hob sich stolzer, wie wenn sie eines großen Entschlusses mächtig geworden wäre. Er tröstete sie über den Gedanken, was die Welt sagen würde; unerkannt wolle er sie in der dunklen Nacht in die Kirche führen, „und landfremd“, fuhr er mit schalkhaftem Lächeln fort, „landfremd nennen Sie diesen Menschen? Mir wenigstens ist es in den vierzehn Tagen geworden, wie wenn ich ihn lange, lange gekannt hätte; und wer war es denn, der an jener Ballnacht, als wir den landfremden Menschen zum allererstenmal sahen, sagte: ‚Ich möchte hingehen und fragen,

Anmerkungen des Autors

  1. Nicht über den Leist hinaus!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Uhr auf Knopfdruck die letzte geschlagene Stunde noch einmal angeben lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 120–121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_063.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)