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zwei Klassen machen: 1) Zuthaten, die das Auge reizen, 2) Zuthaten, die den Gaumen kitzeln.

Unter Nummer 1) ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Mädchen beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Wert zu sprechen, so gilt hier dasselbe, was von den Männern gesagt wurde, eine tiefe, edle, jungfräuliche Seele weiß kein Clauren zu schildern, und wenn er es wüßte, so hat er ganz recht, daß er nie eine Thekla[1], eine Klotilde[2], oder ein Wesen, das etwa ein Titan[3] oder Horion[4] lieben könnte, unter seiner Affenfamilie mittanzen läßt. Was das Äußere betrifft, so macht er es wie jener griechische Künstler, der aus sieben schönen Mädchen sich eine Venus bilden wollte. Aber er vergißt den hohen Sinn, der in der Sage von dem Künstler liegt. Sechs zogen vorüber und zeigten dem entzückten Auge stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend. Die siebente, als die Gewänder fallen sollten, errötete und verhüllte sich, und der Künstler ließ jene sechs vorübergehen und bildete nach diesem Vorbild jungfräulicher Hoheit seine Göttin. Nicht also Clauren; die sechs hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschämt, verhüllt, errötend nahte, hat er die Thüre verschlossen.

Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem, der große Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe – doch wie? Soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta[WS 1] wiedergeben, die sich mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erröte, erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljährlich ein ausführliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand!

Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palast der neuen Circe die Nymphen im See sich baden [237] sehen[5], glaubet ihr, seine reiche, glühende Phantasie hätte ihm nicht noch lockendere Bilder, reizendere Wendungen einhauchen können als einem Clauren? Doch, er dachte an sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, für die er seine Gesänge dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und siehe, die reichen Locken fallen herab und strömen um die Nymphen und rollen in das Wasser, und der See verhüllt ihre Glieder. Aber, si parva licet componere magnis[6], was soll man zu jener skandalösen Geschichte sagen, die H. Clauren in einem früheren Jahrgang des Freimütigen[7], eines Blattes, das in so manchem häuslichen Zirkel einheimisch ist, erzählt?

Rechne man es nicht uns zur Schuld, wenn wir Schändlichkeiten aufdecken, die jahrelang gedruckt zu lesen sind. Eine junge Dame kömmt eines Tages auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, daß sie zwar seit 14 Tagen verheiratet und glücklich verheiratet, aber durch einen kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann nicht ahnen dürfe. H. Clauren erzählt uns, daß er der engelschönen Dame gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit et cetera zeige. Die Dame entschließt sich zu der Prozedur. Ich dächte, das Bisherige ist so ziemlich der höchste Grad der Schändlichkeit, zum mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, glücklich verheiratet, seit 14 Tagen ein glückliches Weib und Ehebrecherin! Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur selbst ein; er rückt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur, er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwärts seine Beobachtungen!!!

Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen, wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu rügen. Warum in einem öffentlichen Blatte etwas erzählen, was man in guter Gesellschaft nicht


  1. Vgl. Schillers „Wallenstein“.
  2. Vgl. Jean Pauls „Hesperus“.
  3. Vgl. Jean Pauls „Titan“.
  4. Vgl. Jean Pauls „Hesperus“.
  5. Vgl. Tassos „Befreites Jerusalem“, 15. Gesang, Strophe 58 ff.
  6. Latein, d. h: „Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf“.
  7. „Der Freimütige oder Unterhaltungsblatt für gebildete Leser“, herausgegeben von Aug. Kuhn (1784–1829).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Griechisch: Zusatz oder Beiwort zur Charakterisierung eines Attributs (vgl. Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 236–237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_121.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)