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Leben; aber sehet ihr ihn jemals gemein werden, wie Clauren auf jeder Seite ist? Walter Scott, der Mann des Tages, der aus manchem Herzen selbst die Wurzeln des Vergißmeinnicht gerissen hat, Walter Scott treibt sich in den gemeinsten Schenken des Landes, in den schmutzigsten Höhlen von Alsatia umher, aber sehet ihr ihn jemals gemein werden? Weiß er nicht wie jene niederländischen Künstler sogar das Unsauberste zu malen, ohne dennoch selbst unreinlich und schlüpferig zu sein? Könnet ihr nicht seine Schilderungen, selbst an das Gefährliche streifende Situationen jedem Mädchen von Zucht und Sitte vorlesen, ohne sie dennoch erröten zu machen?

Solche Männer kommen mir vor wie anständige Leute, die durch eine schmutzige Straße in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf, sie wissen mit sicherem Fuße die breiten Steine herauszufinden und treten reinlich in die Hausflur, während Menschen wie Clauren wilden Jungen oder Schweinen gleich durch dick und dünne laufen und, nicht zufrieden, sich selbst beschmutzt zu haben, die Vorübergehenden besudeln und mit Kot bespritzen.

Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in unserer Litteratur, gibt der Männer viele, die mit Wahrheit und Würde jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trüben Stunden freundlich zu Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, daß uns ein Goethe, ein Jean Paul, ein Tieck, ein Hoffmann Erzählungen gaben, die sich mit jeder Dichtung des Auslandes messen können? Hat euch der Vergißmeinnicht-Mann so gänzlich gefesselt, daß ihr die schönen Blüten zahlreicher anderer Erzähler nicht einmal vom Hörensagen kennt? Freilich, diese Männer verschmähten es, ihre Blumen am Sumpf zu brechen oder ihre Farben mit dem Wasser einer Pfütze zu mischen; sie fühlten, daß der Entwurf ihrer Gemälde anziehend und interessant, daß die Stellung der Gruppen nach natürlichen Gesetzen zu ordnen sei, daß selbst das Neue, Überraschende angenehm für das Auge sein müsse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung der Charaktere, nicht der Hüte und Gewänder, der Geist einer Jungfrau, nicht der üppige Bau ihrer Glieder, war ihnen die Hauptsache, und darum können wir auch [255] ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem Vergnügen lesen, während uns der Berühmte schon nach der ersten Viertelstunde anekelt.

Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere Litteratur hochzuschätzen. Die Engländer fanden einen Ernst, eine Tiefe, die ihnen bewunderungswürdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine Natürlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemälden, die sie selbst bei ihren ersten Geistern selten fanden. Faust, Götz und so manche herrliche Dichtung Goethes sind ins Englische übertragen worden, seine Memoiren entzücken die Pariser; Tiecks und Hoffmanns Novellen fanden hohe Achtung über dem Kanal, und Talma[1] rüstet sich, Schillers tragische Helden seiner Nation vor das Auge zu führen. Wir Deutschen handelten bisher von jenen Ländern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausführen zu können; mit Stolz dürfen wir sagen, daß die Zeit dieses einseitigen Handels vorüber ist.

Aber müssen wir nicht erröten, wenn es endlich einem ihrer Übersetzer, aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfällt, ein Vergißmeinnichtchen über ein Bändchen von „Scherz und Ernst“ zu übertragen? Mit Recht könnt’ er in einer pompösen Anzeige sagen: „Das ist jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furor, den müßt ihr lesen!“ Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen Lächerlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur erträglich zu finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden Geschmack bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel oder ein Mädchen mit eigentümlichen Kunstausdrücken anatomisch beschrieben finden? Oder wenn der Übersetzer in unserem Namen errötet, wenn er alle jene obscönen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnörkel streicht und nur die interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle N. N. heiratet, was wird dann übrig sein?

Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarze Ringellöckchen ab, preßt ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reißt ihr die Perlenzähne aus, schnallet den Schwanenhals nebst


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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 254–255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_130.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)