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gar nicht mehr so munter, so zutraulich wie früher. Sollten Sie sich vielleicht nicht mehr hier gefallen? Sollte mein Mann, sollte vielleicht ich Ursache Ihrer Verstimmung sein?“

Fröben fühlte sich verlegen, er war auf dem Punkt, der Freundin jene sonderbaren Vorfälle im Garten zu gestehen, aber der Gedanke, sich vor der klugen jungen Frau eine Blöße zu geben, hielt ihn zurück. „Sie wissen“, sagte er ausweichend, „daß ich in den letzten Tagen Briefe aus S. bekam. Und wenn ich verstimmt erscheine, so tragen diese Briefe allein die Schuld.“ Sie sah ihn zweifelhaft an; eine Antwort schien auf ihren Lippen zu schweben, aber, wie wenn sie den Mangel an Vertrauen in dem Blicke des jungen Mannes gelesen und sich dadurch gekränkt gefühlt hätte, zuckten ihre schöne Lippen und drängten die Antwort zurück. Sie zog schweigend die Glocke, befahl ihrer Zofe, ihr Hut und Schirm zu bringen, und ging dann, ohne ihn zu diesem Gang einzuladen, in den Garten an die Arbeit.

Als der junge Mann einige Stunden nachher ebenfalls in den Garten hinabstieg und nach Josephe fragte, hieß es, sie sei zu Pastors gegangen. Er eilte der Laube zu, er setzte sich mit pochendem Herz nieder. Heute hatte er sich vorgenommen, nicht einzuschlafen. „Ich will doch sehen“, sagte er zu sich, „ob dieses Wesen, das mich so geheimnisvoll umschwebt, noch ein drittes Zeichen für mich hat? Ich will mich wie zum Schlummer niederlegen, und so wahr ich lebe, wenn es wieder erscheint, will ich es haschen und schauen, welcher Natur es sei.“ Er las, bis der Mittag herangekommen war, dann legte er sich nieder und schloß die Augen. Oft wollte sich der Schlummer wirklich über ihn herabsenken, aber Erwartung, Unruhe und sein fester Wille, der die Mohnkörner von ihm ferne hielt, ließen ihn wach bleiben. Er mochte wohl eine halbe Stunde so gelegen haben, als die Zweige der Laube rauschten. Er öffnete die Augen kaum ein wenig und sah, wie zwei weiße Hände die Zweige behutsam teilten, vermutlich um eine Aussicht auf den Schlummernden zu öffnen. Dann knisterten leise, leise Schritte im Sand. Er blickte verstohlen nach dem Eingang der Laube, und sein Herz wollte zerspringen voll freudiger Ungeduld, als er sein Mädchen sah im schwarzen Mantel [363] und Hut, den grünen Schleier zurückgeschlagen, die schwarzen Maskenaugen vor den obern Teil des schönen Gesichtes gebunden.


32.

Sie nahte auf den Zehenspitzen. Er sah, wie auf ihrem Gesicht ein höheres Rot aufstieg, als sie näher trat. Sie betrachtete den Schläfer lange; sie seufzte tief und schien Thränen abzutrocknen. Dann trat sie nahe heran, sie beugte sich über ihn herab, ihr Atem berührte ihn wie ein Himmelsbote, der die Nähe ihrer süßen Lippen ansagte, sie senkte sich tiefer, und ihr Mund legte sich auf den seinigen, so sanft, wie das Morgenrot sich auf den Hügel senkt.

Da hielt er sich nicht länger, schnell schlang er seinen Arm um ihren Leib, und mit einem kurzen Angstschrei sank sie in die Knie. Er sprang erschrocken auf, er glaubte sie ohnmächtig, aber sie war nur sprachlos und zitterte heftig; er hob sie auf, er zog sie, erfüllt von der Wonne des Wiedersehens, an seine Seite auf die Bank nieder, er bedeckte ihren Mund mit glühenden Küssen, er drückte sie fest an sich: „O, so habe ich dich wieder, endlich, endlich wieder, du geliebtes Wesen!“ rief er. „Du bist kein Trugbild, du lebst, ich halte dich in meinen Armen wie damals und liebe dich wie damals und bin glücklich, selig, denn du liebst ja auch mich!“ Eine hohe Glut bedeckte ihre Wangen, sie sprach nicht, sie suchte vergebens sich aus seinen Armen zu winden. „Nein, jetzt lasse ich dich nicht mehr“, sprach er, und Thränen, Thränen des Glücks hingen in seinen Wimpern. „Jetzt halte ich dich fest, und keine Welt darf dich von mir reißen. Und komm’, hinweg mit dieser neidischen Maske, ganz will ich dein schönes Antlitz schauen, ach, es lebte ja immer in meinen Träumen!“ Sie schien mit der letzten Kraft seine Hand von der Halbmaske abhalten zu wollen, sie atmete schwer, sie rang mit ihm, aber die trunkene Lust des jungen Mannes, nach so langer Entbehrung sich so unaussprechlich glücklich zu wissen, gewährte ihm einen leichten Sieg. Er hielt ihre Arme mit der einen Hand, zitternd stieß er mit der andern den Hut zurück, band die Maske los und erblickte – die Gattin seines Freundes.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 362–363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_184.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)