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„Schnell! Folgen Sie mir!“ rief die Dame und schlüpfte durchs Gedränge. Er folgte, mit Mühe sich durch die Massen schiebend, und nur ihr Turban zeigte ihm hin und wieder den Weg; sein Herz pochte lauter, sein Auge sah keinen andern Gegenstand mehr als sie. In einer dunkleren Ecke des zweiten Saales hielt sie an und wandte sich um.

„Gustav, ich beschwöre Sie, was ist mit meinem Bruder vorgefallen? Die Menschen flüstern allenthalben seinen Namen; ich weiß nicht, was sie sagen, aber ich denke es ist nichts Gutes; hat er Streit gehabt? Ach, ich weiß wohl, diese Menschen hassen unser Volk.“

Der junge Mann war in peinlicher Verlegenheit. Sollte er mit einemmal den arglosen Wahn dieses liebenswürdigen Geschöpfs zerstören? Sollte er ihr sagen, daß auf ihrem Bruder der Fluch der Württemberger ruhe, daß sie für alle Menschen beten und nur ihn aus dem Gebet ausschließen, daß es zur Sitte geworden sei, zu bitten: „Herr, erlöse uns von allem Übel und von dem Juden Süß?“ – „Lea“, antwortete er sehr befangen, „Ihr Bruder wurde von einigen Masken im Spiel gestört und hatte einen Wortwechsel, der vielleicht gerade an diesem Ort auffiel, ängstigen Sie sich nicht.“

„Was bin ich doch für ein thörichtes Mädchen!“ sagte sie, „ich habe so schwere Träume, und dann bin ich den Tag über so traurig und niedergeschlagen. Und so reizbar bin ich, daß mich alles erschreckt, daß ich immer gleich an meinen Bruder denke und glaube, es könnte ihm Unglück zugestoßen sein.“

„Lea“, flüsterte der junge Mann, um diese Gedanken zu zerstreuen, „erinnerst du dich, was du versprachst, wenn wir uns auf dem Karneval träfen? Wolltest du mir nicht einmal eine einsame Stunde schenken, wo wir recht viel plaudern könnten?“

„Ich will“, sagte sie nach einigem Zögern; „Sara, meine Amme, steht am Ausgang und wird mich begleiten. Doch wo?“

„Dafür ist gesorgt“, erwiderte er; „folge mir, verliere mich nicht aus dem Auge; am Eingang rechts.“

[393] Der erfinderische Sinn des jüdischen Ministers hatte, als er das Karneval in Stuttgart arrangierte und diese Säle schnell aus Holz aufrichten ließ, dafür gesorgt, daß wie in großen Häusern und Schlössern an diese Säle auch kleinere Zimmer stoßen möchten, wo kleine Zirkel ein Abendessen verzehren konnten, ohne gerade im allgemeinen Speisesaal ihr Inkognito abzulegen. Der Aktuarius hatte durch eine dritte Hand und hinlängliche Bezahlung sich den Schlüssel zu einem dieser Zimmer zu verschaffen gewußt, eine kleine Kollation stand dort bereit, und Lea freute sich über diese Artigkeit des jungen Christen, der sein möglichstes gethan hatte, den Sinn einer in der Küche erfahrnen Dame zu befriedigen, obgleich das Zimmerchen, das nur einen Tisch und wenige Stühle von leichtem Holz enthielt, wenig Bequemlichkeit bot.

„Wie bin ich froh, endlich die lästige Larve ablegen zu können“, sagte sie, als sie mit ihrer Amme eintrat; sie sah sich nach einem Spiegel um, und als sie nur leere Bretterwände erblickte, setzte sie lächelnd hinzu: „Sie müssen mir schon statt eines Spiegels dienen, Gustav, und sagen, ob diese drängende Menge mir den Haarputz nicht verdorben hat?“

Entzückt und mit leuchtenden Blicken betrachtete der junge Mann das schöne Mädchen. Man konnte ihr Gesicht die Vollendung orientalischer Züge nennen. Dieses Ebenmaß in den fein geschnittenen Zügen, diese wundervollen dunkeln Augen, beschattet von langen seidenen Wimpern, diese kühn gewölbten, glänzendschwarzen Braunen und die dunkeln Locken, die in so angenehmem Kontrast um die weiße Stirne und den schönen Hals fielen und den Vereinigungspunkt dieser lieblichen Züge, zarte rote Lippen und die zierlichen weißen Zähne, noch mehr hervorhoben; der Turban, der sich durch ihre Locken schlang, die reichen Perlen, die den Hals umspielten, das reizende und doch so züchtige Kostüm einer türkischen Dame – sie wirkten, verbunden mit diesen Zügen, eine solche Täuschung, daß der junge Mann eine jener herrlichen Erscheinungen zu sehen glaubte, wie sie Tasso beschreibt, wie sie die ergriffene Phantasie der Reisenden bei ihrer Heimkehr malte.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 392–393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_199.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)