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keine Silbe verstehe, und kann dir mein Wort darauf geben, und damit genug, Herr von Reelzingen!“

„O mon Dieu!“ rief jener lächelnd. „Herr Bruder, wir sind nicht mehr in Leipzig, dies Zimmer ist nicht der göttliche Ratskeller, sondern eine Wachstube; wir sind keine Musen mehr, sondern du bist herzoglicher Aktuar und ich – Soldat, aber Freunde sind wir noch in Not und Tod, und darum sei vernünftig und brause nicht mehr auf wie vorhin. Ich glaube dir ja aufs Wort, daß du nichts weißt, aber gut wäre es von deinem Vater gewesen, wenn er dich präveniert hätte, deine Amour mit der Jüdin ist überdies jetzt ganz und gar nicht an der Zeit, wir alle bitten dich, laß deine Scharmante, mit der du doch niemals eine vernünftige und ehrenvolle Liaison treffen kannst –“

„Was wißt ihr denn von diesem Verhältnis?“ unterbrach ihn der junge Mann düster und erbittert. „Ich dächte, ehe ich euch hierüber um Rat gefragt, könntet ihr billigerweise mit eurer Mahnung warten.“

Der feurige junge Soldat, um seinem Freunde zu nützen, wollte eben in derselben Sprache etwas erwidern, als man an der Thüre pochte. Der Kapitän schloß auf, und einer seiner Sergeanten winkte ihm, herauszutreten. Gustav hörte sie einige Worte wechseln und sah den Freund bald darauf mit verstörter Miene wieder zurückkehren: „Du bekömmst einen sonderbaren Besuch“, flüsterte er ihm zu, „er wird gleich selbst eintreten, und ich darf nicht zugegen sein.“

„Wer doch? Mein Vater?“ fragte Gustav bestürzt.

„Er kömmt“, sagte der Kapitän, indem er eilends Hut und Degen vom Tische nahm, „der Jud Süß!“


6.

Vor der Thüre des Offizierszimmers hatten seine Diener dem Minister den spanischen Mantel abgenommen, und er trat jetzt ein, stattlich geschmückt und vornehm gekleidet, wie es einem Günstling des Glücks und eines Herzogs in damaliger Zeit zukam. Er trug einen roten Rock mit goldenen Trotteln und Quasten [403] besetzt, die goldgestickten Aufschläge seines Rocks gingen bis zum Ellbogen zurück und die Weste von Goldbrokat reichte herab bis an das Knie. Ein kurzer breiter Degen mit reichbesetztem Griff hing an seiner Seite, ein mächtiger Stock unterstützte seine Hand, und auf den reichen hellbraunen Locken, die bis tief in den Nacken herabfielen, saß ein Hütchen von feinem schwarzen Wachstuch, mit Gold und weißen Federn verbrämt. Die Züge dieses merkwürdigen Mannes waren, in der Nähe betrachtet, zwar etwas zu kühn geschnitten, um schön und anmutig zu heißen, aber sie waren edler als sein Gewerbe und ungewöhnlich; sein dunkelbraunes Auge, das frei und stolz um sich blickte, konnte sogar für schön gelten; die ganze Erscheinung imponierte, und sie hätte sogar etwas Würdiges und Erhabenes gehabt, wäre es nicht ein hämischer, feindlicher Zug um die stolz aufgeworfenen Lippen gewesen, was diesen Eindruck störte und manchen, der ihm begegnete, mit unheimlichem Grauen füllte.

Der Kapitän stand fest und aufgerichtet an der Thüre, den Hut in der einen, den Degengriff in der andern Hand, als der Minister Süß eintrat. Dieses nahm sein Hütchen ab, musterte, auf seinen Stock gestützt, den Soldaten mit scharfem Blick und sagte dann kurz und mit leiser Stimme: „Wie ist der Name?“

„Hans von Reelzingen, Kapitän im zweiten Grenadierbataillon, dritte Kompanie.“

„Man hat studiert?“ fuhr der Jude etwas artiger fort.

„Die Jurisprudenz in Leipzig“, antwortete der Kapitän mit militärischer Kürze.

„Wie lange dient der Herr Kapitän?“

„Ein Jahr und zwei Monate; zuerst bei –“

„Schon gut“, unterbrach ihn der Minister mit einer gnädigen Bewegung der Hand; „können abtreten.“

Der Kapitän Reelzingen verbarg seinen Verdruß über das stolze Wesen des Emporkömmlings unter einer tiefen Verbeugung und trat ab. Dem Aktuarius aber, obgleich er keine Menschenfurcht kannte, pochte das Herz, als er nun mit dem Manne allein war, vor dem ein ganzes Land mit abergläubischer Furcht zitterte. Er errötete unwillkürlich, als jener ihn lange und prüfend ansah

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 402–403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_204.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)