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„Wie soll ich das verstehen?“ fragte der Konsulent staunend; „Röder, nur jetzt keinen übereilten Streich!“

„Das ist es eben!“ rief jener, auf den Boden stampfend, „meine Ehre und die Ehre des ganzen Korps ist gekränkt; einen meiner talentvollsten Offiziere sollte ich nach Fug und Recht kassieren lassen um dieses Hundes willen, und thu’ ich’s, so bin ich morgen selbst außer Dienst.“

„Aber so sprecht doch, Obrist!“ sagte der Alte, indem er seinem Sohn winkte, Stühle zu setzen, „setzt Euch, Ihr seid noch in der ersten Hitze.“

„Mein Regiment hat gestern und heute den Dienst“, fuhr jener eifrig fort; „da bringt man nun gestern nacht von der Redoute weg einen Menschen auf unsere Wache mit dem ausdrücklichen Befehl vom Juden, ihn wohl zu bewachen, aber keinen weitern Rapport abzustatten; heute früh zieht der Kapitän Reelzingen auf, findet einen Gefangenen im Offizierszimmer, von welchem nichts im Rapport steht, und denkt Euch – nach einer halben Stunde kömmt der Minister selbst, schickt den Kapitän aus dem Zimmer, verhört auf unserer Wache den Gefangenen insgeheim, entläßt ihn dann und befiehlt dem Kapitän noch einmal, keinen Rapport abzustatten und – nimmt ihm das Ehrenwort ab – er, einem Offizier auf der Wache – nimmt ihm das Wort ab, den Namen des Gefangenen nicht zu nennen; dahin also ist es gekommen, daß jeder Schreiber oder gar ein hergelaufener Jude uns kommandiert? Nach Kriegsrecht muß ich den Kapitän kassieren lassen; meine Ehre fordert, daß ich es nicht dulde, denn ich hatte den Dienst, und ich muß mich rühren, sollte es mich auch meine Stelle kosten.“

Die beiden Lanbek hatten sich während der heftigen Rede des Obristen bedeutungsvolle Blicke zugeworfen. „Der Jude ist listiger, als wir dachten“, sagte, als jener geendet hatte, der Vater; „also auch auf den Obrist war es abgesehen, auch für ihn war die Falle aufgestellt! Wer meint Ihr wohl, daß der Gefangene war? Da, seht ihn, mein leiblicher Sohn saß heute nacht auf Eurer Wache!“

[417] Der Obrist fuhr staunend zurück, und so groß war der Unmut über den Eingriff in seine militärischen Rechte, daß er sich nicht enthalten konnte, einen unwilligen, finstern Blick auf den jungen Mann zu werfen. Als aber der alte Lanbek fortfuhr und ihm erzählte, wie er selbst eigentlich die Ursache dieses Vorfalls gewesen, und wie alles andere so sonderbar gekommen sei, als er ihm den arglistigen Plan des Ministers näher auseinandersetzte, da sprang Herr von Röder von seinem Stuhl auf. „Wohlan, Alter!“ sagte er mit bewegter Stimme zu dem Konsulenten, „daß er mich verfolgt und haßt, hat am Ende nichts zu bedeuten, und daran ist nur der General Römchingen schuld, der mich nie leiden konnte; aber über dir soll er den Hals brechen, oder ich will nicht selig werden! Herr Aktuarius, die Stelle müßt Ihr annehmen, das ist jetzt keine Frage mehr, denn Euer Vater darf jetzt nicht von seinem Amt kommen, oder Verfassung und Religion stehen auf dem Spiel. Aber zum Herzog will ich gehen, will sprechen, und sollt’ es mich mein Leben kosten.“

„Das werdet Ihr nicht thun, Obrist!“ sagte der Alte mit Nachdruck und Ernst; „leset diesen Brief, den man uns aus Würzburg schickt, und sagt mir dann, ob Ihr noch waget, zum Herzog zu gehen und zu sprechen.“ Der Obrist nahm aus seiner Hand ein Schreiben und fing an zu lesen; doch je weiter er las, desto bestürzter wurden seine Züge, bis er staunend, aber mit zornsprühenden Augen den Alten anblickte und die Arme sinken ließ.

„Vater!“ sprach der junge Mann, der betroffen bald den Alten, bald den Obristen betrachtete, „Vater, Sie machen mich hier zum Zeugen eines Auftrittes, bei welchem ich vielleicht besser nicht zugegen gewesen wäre. Ich soll aber gezwungenerweise eine Rolle übernehmen, die mir nicht zusagt. Ich bin zum Expeditionsrat ernannt und weiß nicht warum; ich darf die Stelle nicht ablehnen, obgleich sie mich vor der Welt zum Schurken macht, und weiß nicht warum; es gehen Dinge vor im Staat und in meines Vaters Hause, man verhehlt sie mir, und ich weiß wieder nicht warum. Herr Obrist von Röder, Sie überreden mich, eine Stelle nicht auszuschlagen, die meines Vaters Namen beschimpft; von

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 416–417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_211.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)