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gegen Gustav persönlich verfehlt, er hatte ihn mit dem empörendsten Übermut behandelt, ihm sogar mit demselben Gefängnis gedroht, in welchem er jetzt selbst, bange um künftige Freiheit, vielleicht selbst um sein Leben, schmachtete. Aber das Herz des jungen Mannes war zu groß, als daß es hätte freudig pochen sollen, als er zum erstenmal als Richter in den Kerker des Mannes trat, der jetzt, entblößt von aller irdischen Herrlichkeit, angethan mit zerlumpten Kleidern, bleich, verwildert, sich langsam aus seinen rasselnden Ketten aufrichtete. Erinnerte ihn doch jetzt noch dieses Gesicht an die Züge eines unglücklichen, geliebten Wesens, und er konnte sich kaum der Thränen enthalten, als nach dem Schlusse des Verhörs der Gefangene sprach: „Herr Lanbek, es gibt ein unglückliches, unschuldiges Mädchen, das wir beide kennen; als man in meinem Hause versiegelte, haben sie die rohen Menschen auf die Straße gestoßen – sie war ja eine Jüdin und verdiente also kein Mitleid. – Mir, Herr, ist kein Pfenning geblieben, womit ich ihr Leben fristen könnte; ich weiß nicht, wo sie ist – wenn Sie etwas von ihr hören sollten – sie hat nichts als das Kleid, das sie trug, als man sie von der Schwelle stieß – geben Sie ihr aus Barmherzigkeit ein Almosen.“

Der junge Mann ließ seinen Thränen freien Lauf, als er allein den Berg von Hohen-Neuffen herabstieg; er erfuhr zwar nachher, daß ihn der Jude belogen habe, daß er, obgleich man über 500,000 Gulden in Gold und Juwelen in seinem Hause fand, doch beinahe 100,000 in Frankfurt in sichern Händen habe, und Gustav konnte leicht einsehen, daß ihn Süß durch diese Vorstellungen von Elend nur habe weich stimmen wollen; aber dennoch konnte er den Gedanken nicht entfernen, daß Lea verlassen und unglücklich sei, und dieser Gedanke wurde immer peinlicher, als er trotz seiner Nachforschungen keine Spur von ihr entdecken konnte.

Der Frühling, Sommer und Herbst waren vorübergegangen, und noch immer dauerte der Prozeß. Es waren Dinge zur Sprache gekommen, wovor selbst den kältesten Richtern graute; aber obgleich der junge Lanbek der Kommission mit edlem Unwillen vorstellte, daß noch vier andere Männer nicht minder schuldig seien als Süß, so schien man doch nur gegen diesen ernstlich verfahren [449] zu wollen, weil ihn der allgemeine Haß als den schuldigsten bezeichnete.

Es war an einem trüben Oktoberabend; der alte Konsulent war seit einigen Tagen verreist, und sein Sohn arbeitete im Bibliothekzimmer an einem neuen Verhör, als seine jüngere Schwester, jetzt die glückliche Braut des Kapitän Reelzingen, ernster als gewöhnlich zu ihm eintrat. Sie sprach anfangs Gleichgültiges, schien aber nur mit Mühe eine Thräne unterdrücken zu können, die endlich wirklich in dem sanften Auge glänzte, als sie sagte, ob er ihr nicht zürnen werde, wenn sie eine bekannte Person zu ihm führe? Er sah sie staunend und verwundert an, doch noch ehe er eine Antwort zu geben vermochte, eilte Käthchen weinend aus dem Zimmer und trat bald darauf mit einem verschleierten Mädchen wieder ein. Noch ehe die trübe Kerze ihre Umrisse deutlich zeigte, noch ehe sie den Schleier zurückschlug, sagte ihm sein ahnendes Herz, wen er vor sich habe; errötend sprang er auf, aber schon hatte die Unglückliche sich vor ihm niedergeworfen, den Schleier zurückgeschlagen, und Lea war es, welche die einst so geliebten Augen düster und bittend zu ihm aufschlug und die bleichen, magern Hände ineinander gerungen flehend nach ihm hinstreckte: „Barmherzigkeit!“ rief sie, „nur nicht sterben lassen Sie ihn; man sagt, er müsse sterben; seine einzige Hoffnung ruht noch auf Ihnen. Wo soll ich Worte nehmen, Ihr großmütiges Herz zu erweichen? Welche Sprache soll ich erdenken, an ein Ohr zu sprechen, das mich einst so wohl verstand?“ – Thränen ließen sie nicht weiter reden, und auch Käthchen weinte bitterlich. Voll von Schmerz und Überraschung faßte Gustav ihre kalten Hände und richtete sie auf; er sah sie an – wie schmerzlich war ihm ihr Anblick! Ihre Wangen waren bleich und eingefallen, die schönen Augen lagen tief, und der Mund, der sonst nur zum Lächeln geschaffen schien, zeigte, daß er jenes süße Lächeln längst nicht mehr kenne. Das schwarze Haar, das um die weiße Stirne hing, und das bleiche Gesicht vollendeten das Gespenstige ihres Anblicks.

„Lea! Unglückliche Lea!“ rief der junge Mann. „Wie lange haben Sie sich verborgen gehalten und Ihren Freunden den letzten

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 448–449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_227.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)