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lächelnd auf die Tiere zeigte; „verwünschte Prinzen und Prinzessinnen, die Sie entzaubern können. Doch lassen Sie uns jetzt eintreten“, setzte sie nach einer Weile ernster hinzu, „in diesem Zimmer ist der Vater.“

Sie öffnete eine hohe, schwere Flügelthüre, und durch das altfränkisch ausstaffierte Gemach fiel der Blick des Jünglings auf einen alten Mann, der in einer tiefen Fensterwölbung saß, wie es schien, in ein Zeitungsblatt vertieft. Bei dem Gruß seiner Tochter sah er sich um, und als er den Fremden erblickte und Anna seinen Namen nannte, stand er auf und ging ihm langsam, aber festen Schrittes entgegen. Mit Bewunderung sah sein Neffe die hohe, gebietende Gestalt, die ihn unwillkürlich an jenen Wartturm dieser Burg erinnerte, den so viele Jahre nicht einzustürzen vermochten, und dessen Alter nur der Epheu anzeigte, der sich an ihm emporgeschlungen hatte. Zwar hatte die Zeit in diese fünfundsechzigjährige Stirne Furchen gegraben, um die Schläfe fielen dünne graue Haare, und der Bart und die Augenbraunen waren silberweiß geworden, aber das Auge leuchtete noch ungetrübt, und der Nacken trug den Kopf noch so aufrecht, wie in jugendlicher Kraft, und die Hand gab einen beinahe kräftigeren Druck, als der Neffe zu erwidern vermochte.

„Bist willkommen in Schwaben“, sagte er mit tiefer, kräftiger Stimme; „’s war ein vernünftiger Einfall meiner Frau Schwester, daß sie dich herausschickte; mach’ dir’s bequem; setz’ dich zu mir ans Fenster, und du, Anna, bringe Wein.“

So war der Empfang auf Thierberg; so herzlich und offen er aber auch sein mochte, so konnte doch der junge Mann mehrere Stunden lang ein gewisses unbehagliches Gefühl nicht verdrängen. Er hatte sich den Oheim ganz anders gedacht; er glaubte nach der Beschreibung, die ihm sein Vater gemacht hatte, einen rauhen, aber fröhlichen alten Landjunker zu finden, der seine Hasen hetzt, mit Laune die Händel seiner Bauern schlichtet, von seinen Kleppern gerne erzählt und zuweilen mit seinen Freunden und Nachbarn ein Glas über Durst trinkt; er bedachte nicht, wie fünfundzwanzig Jahre und eine so verhängnisvolle Zeit, wie die, welche dazwischen lag, auf diesen Mann gewirkt haben konnten. Das [471] ruhige, ernste Auge des Oheims, das prüfend auf seinen Zügen zu ruhen schien, die ungesuchten, aber gründlichen Fragen, womit er den Neffen über sein bisheriges Leben und Treiben ins Gebet nahm, das ironische Lächeln, das hie und da bei einer Äußerung des jungen Mannes um seinen Mund blitzte, dies alles und das ganze gewichtige Wesen des Alten imponierten ihm auf eine Weise, die ihm höchst unbequem war; er konnte sich kein Herz fassen, den Oheim ebenso traulich zu behandeln, wie jener ihn, er kam sich vor wie ein angehender Staatsdiener, dem ein Minister Audienz gibt, und es war dies zu seinem nicht geringen Verdruß das zweite Mal, daß er sich über die „Landjunker in Schwaben“ getäuscht sah.

Auch seine Base erschien ihm ganz anders, als er sie gedacht hatte. Er fand zwar alle jene liebenswürdige Natürlichkeit, jenes unbefangene, ungesuchte Wesen, was man ihm an den Töchtern dieses Landes gerühmt hatte, aber diese Unbefangenheit schien nicht aus Unwissenheit, sondern aus einem feinen, sichern Takt hervorzugehen, und was sie sprach, zeugte von einem so vortrefflich gebildeten Geist, daß ihre Natürlichkeit nur darin zu bestehen schien, daß sie alles Geistreiche, sei es witzig oder erhaben, wie etwas Natürliches, Angeborenes vorbrachte, daß es nie als etwas Erlerntes, als etwas Gesuchtes erschien. Am ärgerlichsten war es ihm, daß sie ihn schon nach den ersten Stunden zu durchschauen schien; die ausgesuchten Artigkeiten, die er ihr sagte, zog sie ins Komische, den feineren Komplimenten wich sie auf unbegreifliche Art aus, wollte er ihr nur den zarten, in Berlin gebildeten jungen Mann zeigen, so nannte sie ihn gewiß immer Herrn von Rantow. Und dennoch mußte er sich gestehen, daß er nie soviel Harmonie der Bewegung, der Miene, der Gestalt und der Stimme gesehen habe; ihr ganzes Wesen erschien ihm wie das Hauskleid, das sie jetzt eben trug. Es war einfach und von bescheidenen Farben, und dennoch kleidete es ihre feine, schlanke Gestalt mit jener geschmackvollen Eleganz, die auch dem anspruchlosesten Gewand einen geheimnisvollen Zauber verleiht; ein Toilettengeheimnis, worüber, soviel der junge Mann sich erinnerte, noch nie ein Modejournal Aufschluß gab, und das ihm

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 470–471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_238.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)