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könnte. Die Flötenklänge, die immer weicher und schmelzender wurden, dienten ihm zu Führern nach jener Waldecke; immer eifriger drang er durch das Gebüsch, denn er hatte einen Blick nach der Burg hinübergeworfen und gesehen, daß ein weißes Tuch von Annas Fenster wehte. Schon sah er die Umrisse des Flötenspielers, schon rief er: „Halt, Freund Musikus, ich werde die zweite Stimme spielen“, da schlug dicht neben ihm ein Hund an, und als er erschreckt auf die Seite sprang, stürzte er über die Wurzeln einer alten Eiche unsanft zur Erde.

Als er sich nach einer Weile wieder aufgerichtet hatte und auf den Platz zutrat, wo der Mann mit der Flöte gesessen war, fand er weder von ihm noch von dem Hund eine Spur, wohl aber hörte er tief unten am Berg die Büsche rauschen und das Gesträuch knacken. Beschämt wandte er sich ab und sah nach dem Schloß hinüber. Ein heller Schein war an Annas Fenster, aber es war kein Tuch, wie er geglaubt hatte, sondern der Mond, der in den Gläsern sich spiegelte. Er warf sich seine Unbesonnenheit, seine Hast und Eile, sein Mißtrauen, seine Eifersucht vor. Er suchte für das Entweichen des Flötenspielers die gewöhnlichen und prosaischen Gründe auf, er wollte Anna unschuldig finden, und dennoch wurde er nicht ruhig.

So stand er in dem Anblick der vom Mondlicht übergossenen Burg da, als er plötzlich mit einem Schrei des Schreckens auffuhr, denn eine kalte Hand rührte an die seinige; er sah sich um, und eine dunkle Gestalt stand vor ihm. Ehe er noch fragen, sich nur fassen konnte, fühlte er, daß man ein Papier in seine Hand gedrückt habe, und zugleich stürzte sich dieses geheimnisvolle Wesen in den Wald, doch war es nicht so ätherischer Natur, daß es nicht im Forteilen das Gesträuch zerknickt und Zweige abgestoßen hätte. Albert wurde es ganz unheimlich an diesem Ort. Sein aufgeregtes Blut, die tiefe Stille der Nacht, das schaurige Dunkel der Buchen und gegenüber die altergraue Burg, ihre Fenster vom Monde so sonderbar beleuchtet, daß er geheimnisvolle Schatten in den hohen Gemächern hin und her schleichen sah – es war ihm so bange, daß er schnell seinen Weg zurückeilte, daß er im Wald laut auftrat, nur um sich selbst in dieser unheimlichen Stille zu hören.

[519] Die Laterne des alten Hans warf ihm ein tröstliches Licht aus dem Thor entgegen. Eilends ließ er den Alten mit der Lampe voran nach seinem Zimmer gehen, er entrollte das Papier und erschrak vor einem fremden Unglück, denn die wenigen Zeilen lauteten:

„Dein Brief traf mich erst heute, die Antwort ein andermal. S. Z. N. und noch drei andere wurden heute frühe verhaftet und nach der Festung geführt. Ich weiß nicht, ob Du Dich schuldig fühlst, aber vernünftig wäre es, wenn Du Dich auf die Beine machtest. In Deiner Lage kann es nicht schaden. Ich schickte diese Zeilen an den gewöhnlichen Platz; Gott gebe, daß sie Dich treffen. Was Du auch thun wirst, Robert, sei diskret und nenne mich nie.“

Wer der unglückliche Flötenspieler gewesen sei, sah jetzt Albert deutlich; doch zu großmütig, um aus dieser Verwechselung einen Vorteil ziehen zu wollen, faßte er rasch den Entschluß, den jungen Willi zu retten. Aber fremd und unbekannt in dieser Gegend, deuchte es ihm unmöglich, dies allein auszuführen. Er schickte schnell den alten Hans nach dem Turm, wo Anna wohnte, er ließ sie dringend bitten, ihm nur auf zwei Minuten in einer sehr wichtigen Sache Gehör zu geben. Er folgte dem Alten bis an die Thüre des Saales, und dort blieb er in dem großen weiten Gemach allein, um seine Kousine zu erwarten. Zu jeder andern Zeit hätte der Anblick, der sich ihm hier darbot, mächtig auf seine Seele wirken müssen. Ein ungewisses Licht schimmerte durch die Fenster und fiel auf die Gemälde seiner Ahnen. Ihre Gestalten schienen lebendiger hervorzutreten, ihre Gesichter waren bleicher als sonst, und die ausgestreckte Hand einer längst verstorbenen Frau von Thierberg schien sich zu bewegen. Dazu rauschten die Bäume und murmelte der Fluß auf so eigene Weise, daß man glauben konnte, dieses Geräusch gehe von den Gewändern der Verstorbenen aus.

In diesen Augenblicken aber hatte er nur ein Ohr für die immer leiser schallenden Tritte des alten Dieners; sein Auge hing erwartungsvoll an der Thüre, sein Herz pochte unruhig einer Gewißheit entgegen, die keine erfreuliche sein konnte.

Bald tönten die Schritte wieder den Korridor herauf; er

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 518–519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_262.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)