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mit einem freundlichen Händedruck hinzu, „wenn du anders deiner Sache gewiß bist, gewinne ich Anna.“

Sie besprachen dieses Kapitel auch auf dem Weg nach Thierberg wieder, und Robert gab seinem Vater Vollmacht, bei dem Alten um Anna für ihn zu werben. Sie verhehlten sich nicht, daß eine nicht unbedeutende Schwierigkeit im Charakter des alten Thierberg liegen könne; ihre Gesinnungen hatten so oft die seinigen beinahe feindlich durchkreuzt; man hatte sich wegen Meinugen so oft gezankt, man war oft unzufrieden, beinahe verstimmt auseinander gegangen, aber sie trösteten sich damit, daß er doch nie persönliche Abneigung gezeigt habe, und die Vorteile, die für Thierberg aus dieser Verbindung hervorgingen, erschienen so bedeutend, daß der General, als sie über die Zugbrücke ritten, sich schon im Geiste als Vater der schönen Anna zu sehen glaubte und vertrauungsvoll auf das Thierbergische Wappen über dem alten Portal zeigte: „Mut gewinnt, führen sie als Symbol im Wappen“, flüsterte er seinem Sohn zu. „Das fügt sich trefflich, denn weißt du noch, was der Wahlspruch deiner Ahnen war?“

„Der Will’ ist stark!“ rief der junge Willi, freudig errötend. „Mut gewinnt – und der Will’ ist stark!“

Im Schloßhof empfing Rantow die Angekommenen; er entschuldigte seinen Oheim mit einem kleinen gichtischen Anfall, der ihn verhindere, die steile Treppe herabzusteigen und seinen Gästen entgegenzugehen. Er sagte dies schnell und nicht ohne einige Verlegenheit, die er hinter einem Schwall von Glückwünschen für Robert Willi zu verbergen suchte. Nach den Verhältnissen, die gegenwärtig in den alten Mauern von Thierberg herrschten, konnte nicht leicht etwas störender wirken als dieser Besuch. Man hatte zwar den Vetter aus der Mark nicht mit in das Geheimnis gezogen; der Vater schien es zu bereuen, daß er sich nur so weit gegen seinen Neffen ausgesprochen habe, und Anna hatte mit ihm seit einigen Tagen nie mehr über Willi gesprochen, sei es auf ein Verbot ihres Vaters, sei es aus Argwohn, er möchte dem Alten ihr Geheimnis verraten haben. Seit jenem Abend jedoch, wo die Rückkehr Roberts angekündigt worden war, herrschte eine Spannung, die um so drückender wurde, da die ganze Gesellschaft [533] zwar aus dreierlei Parteien, aber – nur aus drei Personen bestand.

Anna sprach wenig, hielt sich meist auf ihrem Zimmer auf, wohin Albert noch niemals eingeladen worden war; der Alte war mürrisch, aufbrausender als sonst gegen seine Diener, gegen seinen Gast herzlich wie zuvor, aber ernster und einsilbiger, gegen seine Tochter kalt und gleichgültig. Er trank, trotz der bittenden Blicke, die Anna zuweilen nach ihm hinzusenden wagte, mehr Wein als gewöhnlich, schimpfte dann auf die ganze Welt, verschlief den Nachmittag und ließ sich abends den Amtmann holen, um ein Spiel mit ihm zu machen. Dann setzte sich Anna mit ihrer Arbeit in ein Fenster, ließ sich von dem Vetter etwas vorlesen, aber Thränen, die hin und wieder auf ihre Hand herabfielen, zeigten dem jungen Mann, wie wenig ihr Geist mit dem beschäftigt sei, was er eben las. Der Anfall von Gicht, der über den Alten kam, machte die Sache womöglich noch schlimmer; man sah, wie er alle Kraft aufbot, seine Schmerzen zu unterdrücken, nur um der natürlichen Hülfe seiner Tochter weniger zu bedürfen, und wenn Fälle eintraten, wo er diese Hülfe nicht abweisen konnte, wenn das schöne Kind bleich und mit Thränen im Auge vor ihm kniete, um seine Beine in warme Tücher zu hüllen, da wandte er sich ab, pfiff irgend ein altes Liedchen, nannte sich „einen Mann, der bald in die Grube fahren müsse“, und fand es schön, daß doch ein Enkel der Thierberge zugegen sein werde, wenn man den letzten dieses Namens beisetze.

Rantow wußte zwar, daß sein Oheim das Gastrecht gegen seine Nachbarn nicht verletzen werde, aber diese letzten Tage fielen ihm schwer auf die Seele, als er die Fremden die Treppe hinan führte, und er sah voraus, daß die beiden Willis gewiß nichts dazu beitragen würden, die Verstimmung aufzulösen.

Der Empfang war übrigens herzlicher, als er sich gedacht hatte; es gibt eine gewisse höfliche Freundlichkeit, die man sich angewöhnen kann, ohne sich dessen bewußt zu werden. Besonders auffallend erscheint diese Eigenschaft, wenn sich Männer begrüßen, von welchen wir wissen, daß sie keiner Heuchelei fähig sind, und die dennoch, sei es durch Meinungen, sei es durch Verhältnisse,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 532–533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_269.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)