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sie auch stiegen, ächzte. Zum nicht geringen Schrecken begegnete ihnen auf dem ersten Stock der alte Hans, der sie verwundert ansah. Albert winkte seinem Gefährten, nur immer voranzugehen, er selbst nahm, ohne in seiner Bestürzung zu bedenken, ob es klug sein möchte, den alten Diener auf die Seite: „Hans!“ sagte er, „wenn du deinem Herrn ein Wort –“ – „O“, erwiderte jener schlau lächelnd, „da hat es gute Wege, so wenig als in jener Nacht, da Sie mich beinahe in den Neckar warfen, ich bin so still wie ein toter Hund.“ Beruhigt folgte Rantow dem Liebhaber; sie hatten bald das Ende der Treppe erreicht und standen nun auf einer Art von Vorsaal; die Reinlichkeit und Zierlichkeit, die hier herrschte, ließ ahnen, daß man sich nicht mehr weit von Annas Gemach befinde. Zwei Thüren gingen auf diesen Vorplatz; sie wählten auf ein gutes Glück die nächste, pochten an – keine Antwort. Sie pochten wieder; jetzt that sich die zweite Thüre auf, und Anna erschien auf der Schwelle.

Sie errötete, als sie die beiden jungen Männer sah, doch, als habe dieser Besuch nichts Auffallendes an sich, lud sie dieselben durch einen freundlichen Wink ein, näherzutreten. „Ihr kommt wohl, um die schöne Aussicht von meinem Turm zu betrachten?“ sagte sie. „Jetzt erst fällt mir bei, daß du nie hier warst, Albert, aber so ganz bin ich schon an diesen herrlichen Anblick gewöhnt, daß es mir nicht einmal einfiel, dich hieher einzuladen.“


12.

Das Gemach war klein, die Geräte gehörten einer früheren Zeit an, aber dennoch war alles so freundlich und geschmackvoll geordnet, daß Rantow, nachdem er die Aussicht geprüft, die nächsten Umgebungen gemustert und alles recht genau angesehen hatte, dieses Zimmer für das schönste im Schloß erklärte. Nur eine breite Kiste, von schlechtem Holz zusammengezimmert, die auf einer Kommode stand, schien ihm nicht mit den übrigen Gerätschaften zu harmonieren. So ungerne er die beiden Liebenden, die, anscheinend in die Aussicht auf das Thal hinab vertieft, eifrig zusammen flüsterten, stören mochte, so war doch seine Neugierde, [543] zu wissen, was der geheimnisvolle Schrank verberge, zu groß, als daß er nicht seine Base darüber befragt hätte.

„Bald hätte ich das Beste vergessen!“ rief sie aus. „Das Bild für Ihren Vater ist heute angekommen, Robert; ich habe es hieher gestellt, weil mein Vater nie hieher kömmt, und weil ich es doch auch betrachten wollte.“ Sie rückte unter diesen Worten den Deckel des Schranks, Will half ihn herabnehmen, und das Bild eines Reiters, der auf einem wilden Pferd eine Anhöhe hinansprengt, wurde sichtbar.

„Buonaparte!“ rief Rantow, als ihm die kühnen, geistvollen Züge aus der Leinwand entgegensprangen.

„Erkennst du ihn?“ fragte Anna lächelnd. „Das war der Sieger von Italien!“

„Ich hätte nicht geglaubt, daß die Kopie so gut gelingen könnte“, bemerkte Willi. „Aber wahrlich, David war ein großer Maler. Wie edel ist diese Gestalt gehalten, wie glücklich der Einfall, diesen hochstrebenden Mann nicht in der gebietenden Stellung eines Obergenerals, sondern in einer Kraftäußerung aufzufassen, die einen mächtigen Willen und doch eine so erhabene Ruhe in sich schließt.“

„Ich kenne das Original“, sagte Rantow. „Es ist in der Galerie zu Berlin aufgestellt, und ich finde diese Kopie trefflich; für Liebhaber des Gegenstandes, worunter ich nicht gehöre, gewinnt dieses Gemälde um so höheres Interesse, als die Idee dazu von Napoleon selbst ausging. Man sagt, David habe ihn malen wollen als Helden, den Degen in der Hand, auf dem Schlachtfelde; Buonaparte aber erwiderte die merkwürdigen Worte: ‚Nein, mit dem Degen gewinnt man keine Schlachten; ich will ruhig gemalt sein – auf einem wilden Pferde.‘“

„Dank dir für diese Anekdote“, erwiderte Anna. „Sie macht mir das Bild um so lieber, und nicht wahr, Robert“, setzte sie hinzu, „auch dein Vater soll durch seine Originalität nur noch mehr erfreut werden.“

„Anna!“ unterbrach die Beschauenden eine dumpfe, wohlbekannte Stimme. Sie sahen sich um, der alte Thierberg, auf seinen Diener gestützt, stand mit hochrotem, zürnendem Gesicht

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 542–543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_274.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)