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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

könnten endlich die im dritten Almanach aufgenommenen, angeblich sagenhaften Erzählungen betrachtet werden, wenn nicht Hauff hier wesentlich Erzeugnisse seiner eigenen Phantasie als Sagen ausgäbe, wobei er allerdings auch deren Ton vorzüglich trifft.

Hauffs zweiter, wahrscheinlich in Paris geschriebener und im Herbst 1826 wieder bei Gebrüder Frankh in Stuttgart erschienener Märchen-Almanach „Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven“ weicht seinem Inhalte nach insofern von den beiden anderen ab, als er nicht nur Erzählungen Hauffs, sondern auch vier Geschichten anderer[1] enthält. Zwischen diese, die natürlich in die gesammelten Werke Hauffs später nicht mit aufgenommen werden konnten, war nun ursprünglich auch wieder, wie zwischen seine eigenen, je ein Stück der Rahmenerzählung eingeschoben. Mit der Weglassung jener Geschichten aber wurden von G. Schwab und anderen Herausgebern auch Teile der Rahmenerzählung gestrichen oder doch verkürzt und verschoben, während in unserer Ausgabe der vollständige Text wiederhergestellt worden ist. Die Begebenheiten jener überaus anmutigen Erzählung verlegt Hauff zwar zum Teil in den Orient, läßt sie aber mit der zugehörigen Geschichte Almansors am Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu seinen eigenen Lebzeiten, spielen, ebenso die köstliche Satire „Der Affe als Mensch“, die sich auf seine Zeit und die deutschen Kleinstädte im allgemeinen bezieht. Diese drei Erzählungen, die außerdem frei von Feen und Zauberern sind, tragen also nach Hauffs Erklärung das Gepräge von „Geschichten“; hierzu ist aber auch noch „Abner, der Jude, der nichts gesehen hat“, zu rechnen, obgleich Hauff sie in den Orient und etwa hundert Jahre vor seine eigene Zeit verlegt. Das einzige (nach seiner Definition) wirkliche Märchen, das er selbst zu diesem Jahrgange des Almanachs beigesteuert hat, wäre also „Der Zwerg Nase“, eine deutsche Hexengeschichte; von den übrigen gehören hierzu noch Schölls phantastisches Märchen „Der arme Stephan“ und die beiden Märchen Wilhelm Grimms, während „Der gebackene Kopf“ Moriers von Hauff selbst zu den „Geschichten“ gerechnet wird.

Betrachtet man Hauffs Beiträge ihrer Entstehung und Grundlage nach, so wird man alle, mit Ausnahme von „Abner“ und der „Höhle von Steenfoll“, in der Hauptsache seiner eigenen Erfindung zuweisen müssen. In „Abner“ dagegen hat er einen jener Wanderstoffe behandelt, [9] die sich durch die Weltlitteratur hinziehen, in der „Höhle von Steenfoll“ eine englische Erzählung benutzt. Inwieweit er sich dabei an seine Vorbilder angeschlossen hat, ist in den Anmerkungen des Herausgebers am Schlusse dieses Bandes näher ausgeführt. Allerdings ganz rein aus seiner Phantasie geschöpft hat Hauff wohl nur selten; es finden sich bei ihm immer gewisse Anklänge an ältere Erzählungen, Sagen oder Begebenheiten, die er aber selbständig behandelt, in so ganz neuer Gestalt und mit so völlig ihm eigenen Zutaten, daß man, außer bei jenen beiden Geschichten, nicht von wirklicher Nacherzählung reden kann und ihn allein als den Schöpfer seiner Dichtungen gelten lassen muß.

Bei manchem seiner Märchen und den meisten seiner „Geschichten“ wird man nicht einmal im stande sein, ein direktes Vorbild, dem er nachgestrebt hätte, zu nennen. Am ehesten könnten außer „Tausendundeine Nacht“ hierfür wohl noch Tieck und die Romantiker in Frage kommen, insbesondere E. T. A. Hoffmann. „Tausendundeine Nacht“ freilich ist ein unzweifelhaftes Muster für Hauff gewesen, aber auch nur ein solches, kein Gegenstand der Ausbeutung den Stoffen nach. Wie viel er diese Sammlung in seiner Kindheit gehört oder studiert, wahrscheinlich auch in der Anfang der zwanziger Jahre erschienenen neuen Übertragung von Habicht, von der Hagen und Schall wieder gelesen und sich ins Gedächtnis eingeprägt haben muß, das zeigen die wiederholten Erwähnungen einzelner Erzählungen und der verschiedensten Gestalten daraus in seinen eigenen Schriften.

Der dritte Märchen-Almanach, mit der weniger durch selbständige Bedeutung hervorragenden Rahmenerzählung „Das Wirtshaus im Spessart“, enthält im ganzen weit ernster gehaltene Erzählungen als die beiden früheren, die sich darum auch viel besser für das jugendliche Alter eignen als jene, die Hauff niedergeschrieben hat in einer Zeit, da er viel zu sehr in das literarische Leben hineingezogen war und keinen solchen unmittelbaren Verkehr mehr mit Kindern hatte wie im Elternhause und während seiner Hauslehrertätigkeit. Den Ton jener damals geschriebenen Märchen trifft hier eigentlich nur die hübsche, von dem gräflichen Jäger vorgetragene Feengeschichte „Saids Schicksale“. Die Rahmenerzählung ist eine zwar gut erzählte, aber namentlich gegen den Schluß hin ziemlich triviale Nachahmung der zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts viel verbreiteten romantischen Räubergeschichten, die nach dem Vorbild von Schillers „Räubern“ und


  1. Vgl. Bd. 2, S. 62, dieser Ausgabe.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 8–9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_005.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)