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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

des „Rinaldo Rinaldini“ von Vulpius fast immer einen bald als Bramarbas sich gebärdenden, bald sentimental schwärmenden und überaus edelmütigen und galanten Räuberhauptmann als Helden haben; doch sind die einzelnen Erzählungen bis auf die 2. Abteilung vom „Kalten Herzen“ wieder sehr geschickt in die sie umrahmende eingeflochten. „Die Sage vom Hirschgulden“, die Hauff dem Zirkelschmied in den Mund legt, verarbeitet vielleicht im Schwabenlande vorhandene Überlieferungen von den dortigen Hohenzollern[1]; einer wirklich feststehenden und verbreiteten Sage scheint aber auch sie nicht nacherzählt zu sein, obgleich Ton und Gepräge einer solchen vorzüglich getroffen sind. Dasselbe gilt von der Perle dieses Almanachs, der schönen, tiefpoetischen Erzählung des Studenten: „Das kalte Herz“, in der auch Charakter, Sitten und Gebräuche seines heimatlichen Schwarzwaldes treu und sicher vom Dichter geschildert werden.

Die düstere Geschichte „Die Höhle von Steenfoll“, die Hauff als eine „schottländische Sage“ bezeichnet und – wenig geschickt gewählt – von dem jungen Goldschmiedgehilfen Felix erzählen läßt, ist die verkürzte, aber sonst meist wortgetreue Übersetzung einer Erzählung „The Nikkur Holl“ aus dem ersten Bande der 1826 anonym erschienenen „Tales of a voyager“ von Rob. P. Gillies. Ist Hauff, was freilich nicht ganz feststeht, des Englischen mächtig gewesen, so hat er zweifellos eine eigene Übertragung geboten, wenn nicht, so muß ihm die 1827 erschienene Übertragung der „Tales“ von Ed. von Bülow als Grundlage gedient haben[1].

Endlich ist der Rahmenerzählung noch eine fünfte, nicht als selbständiges Glied hervorgehobene Geschichte einverleibt: die von dem Fuhrmann zum besten gegebene traurige Kirchhofsgeschichte, in der ein junges Mädchen durch Schreck und Grausen getötet wird. Es ist dies übrigens neben der „Geschichte Almansors“ im „Scheik von Alessandria“ und der „Geschichte von der abgehauenen Hand“ in der „Karawane“ die einzige, die einer der Beteiligten in den Rahmenerzählungen als eine wahre Begebenheit aus seinem eigenen Leben berichtet. Während aber die beiden zuletzt genannten zweifellos von Hauff erfunden sind, kann jene des Fuhrmanns recht gut in Wirklichkeit so oder ähnlich einmal vorgekommen sein.

Die zeitgenössische Kritik scheint von Hauffs zweitem Märchen-Almanach [11] nur sehr wenig Kenntnis genommen zu haben. Über den dritten Almanach lassen sich jedoch zwei Rezensionen anführen, die als Maßstab dafür gelten können, wie die Gabe Hauffs von den Mitlebenden aufgenommen wurde. In der besonderen Lobpreisung der Erzählung „Das kalte Herz“ stimmen beide am meisten miteinander überein, während sie sonst in Einzelheiten abweichende Ansichten offenbaren, im ganzen jedoch wieder beide zu einer warmen Empfehlung des Bandes kommen.

Th. Hells Besprechung in Nr. 94 des „Wegweisers“ zur „Abendzeitung“ vom 24. Nov. 1827 lautet: „Diejenigen kleinen, lieben Persönchen, für welche der Titel dieses Taschenbuch bestimmt, werden es nicht allein gern lesen und recht sehr dafür danken, wenn Papa oder Mama ihnen eins von den sauber eingebundenen und mit einigen eben nicht außerordentlichen, aber doch das junge Völkchen anziehenden Kupfern versehenen Exemplaren zur Weihnachtgabe bestimmt, sondern auch größere Leutchen werden ihr Vergnügen daran finden. Der Verfasser hat eine Erzählung von einem Wirtshause im Spessart und einer dort hausenden Räuberbande gedichtet, welche gleichsam die Einfassung zu den recht artigen Märchen bildet, die sich mehrere dort zusammentreffende Personen mitteilen. Diese Erzählung setzt sich zwischen den Märchen fort und spannt besonders in der ersten Hälfte die Aufmerksamkeit recht sehr; mit der Verwechslung von Felix und der Gräfin können wir uns aber nicht ganz einverstanden erklären und es bei der letzteren nie billigen, daß sie den armen Goldschmiedjungen in die augenscheinlichste Lebensgefahr brachte, der sie doch selbst nie ausgesetzt gewesen wäre. Der Schluß rührt und befriedigt dagegen wieder. – Unter den Märchen hat uns besonders ‚Das kalte Herz‘ ungemein gefallen, dessen Moral am Schlusse auch eine der natürlichsten und treffendsten ist. Saids Schicksale sind ebensogut erzählt und doppelt anziehend durch die Figur des allbekannten Harun al Raschid. Mit recht trockener Naivetät, wie es dem Zirkelschmied ziemte, ist die ‚Sage vom Hirschgulden‘ vorgetragen, wobei es jedoch den beiden Brüdern am Ende noch etwas trübseliger hätte ergehen sollen, und obgleich ‚Die Höhle von Steenfoll‘ den ‚Tales of a voyager‘ entlehnt ist, so ist sie doch recht wacker übertragen und nimmt sich auch in dieser Zusammenstellung schaurig genug aus. Der Ton und Vortrag ist, wie es sich für die Haltung des Ganzen ziemte, einfach, ja treuherzig möchten wir sagen, eben dadurch aber namentlich für die Jugend anlockend und fesselnd.“


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 10–11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)