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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

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Einleitung des Herausgebers.

Wie über die Märchen, so hat sich Hauff auch über die andere Erzählungsart, in der er so Treffliches geleistet hat, die Novellen, an zwei Stellen öffentlich ausgesprochen. Das eine Mal, mehr poetisch gefaßt und etwas satirisch gehalten, in dem „Vertraulichen Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich“[1], das der Gesamtausgabe seiner Novellen vorgedruckt war, und das zweite Mal in einem Aufsatze, den er anscheinend wenige Wochen vor seinem Tode (wahrscheinlich für das „Morgenblatt“) geschrieben hat. In jenem „Schreiben“ äußert er sich mehr über die Quellen, die Grundlagen, denen der Dichter seinen Stoff zu Novellen entnimmt, und bekundet seine Meinung mit den Worten: „Die besten und berühmtesten Novellendichter haben aus einem unerschöpflichen Schatz der Phantasie ihre Dichtungen hervorgebracht, und die unverwelklichen Blumensträuße, die sie gebunden, waren nicht in Nachbars Garten gepfückt, sondern stammten aus dem ewig grünen Paradies der Poesie. … Geringere Sterbliche“, fährt er dann fort und rechnet auch sich selbst zu diesen letzteren, „welchen jene magische Springwurzel … nicht zu teil wurde, müssen zu allerlei Notbehelf ihre Zuflucht nehmen, sie müssen“, wie er sich ausdrückt, „nach einer Novelle spionieren“, und dazu empfiehlt er als ergiebigste Quelle „Frauen, die das fünfundsechzigste hinter sich haben“, weil diese die meisten Erfahrungen an interessanten, geheimnisvollen, galanten und abenteuerlichen Ereignissen gesammelt haben und am ausführlichsten und glaubhaftesten wiederzuerzählen verstehen. Man brauche dann nur wiederzugeben, was man da gehört habe, und der Erzählung den Titel Novelle voranzustellen. Eine solche enthalte dann immer „getreue Wahrheit, wenn auch keine poetische“, und habe einen pikanten Reiz für das Publikum. So habe auch er die meisten seiner Novellen geschrieben, was freilich nicht allen Leuten recht sei, weil manche zu genaue historische Wahrheit in Familiengeschichten unbequem und unpoetisch finden, andere jede poetische Abweichung von der historischen Wahrheit als „rechtswidrige Täuschung des Publikums“ ansehen.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 270–271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_136.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)