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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

nicht mehr in den Jahren war, wo Phantasie der Schönheit zu Hilfe kommt, schon früher von der Bühne aus angezogen hatte. Er mußte sich gestehen, daß er selten einen so schönen Kopf, ein so liebliches Gesicht gesehen hatte; ihre Züge waren nichts weniger als regelmäßig, und dennoch übten sie durch ihre Verbindung und Harmonie einen Zauber aus, für welchen er lange keinen Grund wußte; doch dem psychologischen Blicke des Medizinalrates blieb dieser Grund nicht verborgen; es war jene Reinheit der Seele, jener Adel der Natur, was diese jungfräulichen Züge mit einem überraschenden Glanz von Schönheit übergoß. „Es scheint, Sie studieren meine Züge, Doktor“, sprach die Sängerin lächelnd; „Sie sitzen so stumm und sinnend da, starren mich an und scheinen ganz zu vergessen, was ich fragte. Oder ist es zu schrecklich, als daß ich es hören sollte? darf ich nicht erfahren, was die Stadt über mein Unglück sagt?“

„Was wollen Sie alle diese törichten Vermutungen hören, die müßige Menschen erfinden und weiter sagen? Ich habe eben darüber nachgedacht, wie rein sich Ihre Seele auf Ihren Zügen spiegle; Sie haben Frieden in sich, was kümmert Sie das Urteil der Menschen?“

„Sie weichen mir aus“, entgegnete sie, „Sie wollen mir entschlüpfen, indem Sie mir schöne Dinge sagen. Und mich sollte das Urteil der Menschen nicht kümmern? welches rechtliche Mädchen darf sich so über die Gesellschaft, in welcher sie lebt, hinwegsetzen, daß es ihr gleich gilt, was man von ihr spricht? Oder glauben Sie etwa“, setzte sie ernster hinzu, „ich werde nichts darnach fragen, weil ich einem Stand angehöre, dem man nicht viel zutraut? Gestehen Sie nur, Sie halten mich für recht leichtsinnig.“

„Nein, gewiß nicht; ich habe immer nur Schönes von Ihnen gehört, Mademoiselle Bianetti, von Ihrem stillen, eingezogenen Leben, und daß Sie mit sicherer Haltung in der Welt stehen, obgleich Sie so einsam und mancher Kabale ausgesetzt sind. Aber warum wollen Sie gerade wissen, was die Menschen sagen? wenn ich nun als Arzt solche Neuigkeiten nicht für zuträglich hielte?“

„Bitte, Doktor, bitte, foltern Sie mich nicht so lange“, rief [341] sie; „sehen Sie, ich lese in Ihren Augen, daß man nicht gut von mir spricht. Warum mich in Ungewißheit lassen, die gefährlicher für die Ruhe ist als die Wahrheit selbst?“

Diesen letzten Grund fand der Medizinalrat sehr richtig; und konnte in seiner Abwesenheit nicht irgend eine geschwätzige Frau sich eindringen und noch Ärgeres berichten, als er sagen konnte? „Sie kennen die hiesigen Leute“, antwortete er, „B. ist zwar ziemlich groß, aber, du lieber Gott, bei einer solchen Neuigkeit der Art zeigt es sich, wie kleinstädtisch man ist. Es ist wahr, Sie sind das Gespräch der Stadt, dies kann Sie nicht wundern, und weil man nichts Bestimmtes weiß, so – nun, so macht man sich allerhand seltsame Geschichten. So soll z. B. die männliche Maske, die man auf der Redoute mit Ihnen sprechen sah und die ohne Zweifel dieselbe ist, welche diese Tat beging, ein –“

„Nun, so reden Sie doch aus“, bat die Sängerin in großer Spannung, „vollenden Sie!“

„Es soll ein früherer Liebhaber gewesen sein, der Sie in – in einer andern Stadt geliebt hat und aus Eifersucht umbringen wollte.“

„Von mir das! o, ich Unglückliche!“ rief sie schmerzlich bewegt und Tränen glänzten in ihren schönen Augen; „wie hart sind doch die Menschen gegen ein so armes, armes Mädchen, das ohne Schutz und Hilfe ist! Aber reden Sie aus, Doktor, ich beschwöre Sie! es ist noch etwas anderes zurück, das Sie mir nicht sagten. In welcher Stadt, sagen die Leute, soll ich –“

„Signora, ich hätte Ihnen mehr Kraft zugetraut“, sprach Lange, besorgt über die Bewegung seiner Kranken. „Wahrlich, ich bereue es, nur so viel gesagt zu haben; ich hätte es nie getan, wenn ich nicht fürchtete, daß andere mir unberufen zuvorkämen.“

Die Sängerin trocknete schnell ihre Tränen. „Ich will ruhig sein“, sagte sie wehmütig lächelnd, „ruhig will ich sein wie ein Kind; ich will fröhlich sein, als hätten mir diese Menschen, die mich jetzt verdammen, ein tausendstimmiges ‚Bravo‘ zugerufen. Nur erzählen Sie weiter, lieber, guter Doktor!“

„Nun, die Leute schwatzen dummes Zeug“, fuhr jener ärgerlich fort. „So soll, als Sie letzthin im ‚Othello‘ auftraten, in einer

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 340–341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)