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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

‚Wilhelm Meister‘ zuerst erschien.[1] ‚Werther‘[1] und ‚Siegwart‘[1] waren Mode gewesen, hatten Nachahmung gefunden lange Zeit. Aber mein Prinzipal sagte: ‚Er wird sehen, Kaper‘ (damals sprach man noch per Er mit den Subjekten), ‚Er wird sehen, über kurz oder lang geschieht eine Veränderung.‘ So war’s auch; wir gaben anfänglich nicht viel um den ‚Wilhelm Meister‘, es schien uns ein gar konfuses Buch; aber siehe da, man schrieb allenthalben nach diesem Muster, und mancher hat sich ein schönes Stück Geld damit gemacht. Wieder eine Weile, ich hatte meine eigene Handlung etabliert, lag mir oft das Wort meines alten Prinzipals im Sinn: ‚Alles im Buchhandel ist nur Mode; wer eine neue angibt, ist Meister‘; wie ich mich noch auf etwas Neues besinne und einen Menschen suche, der etwas Tüchtiges schreiben täte – da haben wir’s, kömmt Fouqué[2] mit den Helden und Altdeutschen, und alles machte nach. Und jetzt hat der Walter Scott[2] wieder eine neue Mode gemacht. Ich möchte mir die Haare ausraufen, daß ich keine Taschenausgabe machte, und nichts bleibt übrig als etwa deutsche historische Romane; die gehen noch.“

„Fürwahr“, bemerkte der Stallmeister lächelnd, „so habe ich bisher ohne Brille gelesen, und der deutsche Parnaß ist in ganz andern Händen, als ich dachte. Nicht um das Interesse der Literatur scheint es sich zu handeln, sondern um das Interesse der Verkäufer?“

„Ist alles so ganz genau verknüpft“, antwortete Herr Kaper mit großer Ruhe, „hängt alles so fest zusammen, daß es sich um den Namen nicht handelt! Deutsche Literatur! Was ist sie denn anders, als was man alljährlich zweimal in Leipzig kauft und verkauft? Je weniger Krebse, desto besser das Buch, pflegen wir zu sagen im Buchhandel.“

„Aber der Ruhm?“ fragte der junge Rempen.

„Der Ruhm? Herr, was nützt mich Ruhm ohne Geld? [387] Gebe ich eine Sammlung gelehrter Reisen mit Kupfern heraus, die mich schwer Geld kosteten, so hat zwar meine Firma den Ruhm, das Buch verlegt zu haben. Aber wer kauft’s, wer nimmt’s, wer liest das Ding? Sechs Bibliotheken und ein paar Büchersammler, das ist alles, und wer geprellt ist, bin ich. Nein, Herr von Rempen! Eine vergriffene Auflage von einem Roman, eine Messe von höchstens dreißig Krebsen, das ist Ruhm, der echte, nämlich Ruhm mit Geld.“

„Das ist also ungefähr wie Tee mit Rum, es schmeckt besser“, erwiderte der Stallmeister; „aber ich meinte den schriftstellerischen Ruhm.“

„I nun, das ist etwas anderes“, antwortete er, „den haben die Herrn neben dem Honorar umsonst. Und den weiß man sich zu machen, sehen Sie –“



2. Die Kritiker.

Doch die Forschungen des Herrn Kaper wurden hier auf eine unangenehme Weise durch einen Lärm unterbrochen, der im Laden des Italieners entstand. Neugierig sah man nach der Türe, welche durch ein Glasfenster einen Überblick über den unteren Teil des Gewölbes gewährte. Ein ältlicher und zwei jüngere Herren schienen im heftigen Streit begriffen; jeder sprach, jeder focht mit den Händen; der eine stürzte endlich mit hochgeröteten Wangen aus dem Laden, die beiden andern, noch keuchend vom Wortkampf, traten in das Gewölbe, wo die Freunde saßen.

„Herr Rat! Was ist mit Ihnen vorgefallen!“ rief Dr. Zundler beim Anblick des älteren Mannes, der, ein gedrucktes Blatt in der Hand zerknitternd, atemlos auf einen Stuhl sank. „Haben Sie denn nicht gelesen, Dr. Zundler?“ antwortete für den älteren der jüngere Mann, der unmutig und dröhnenden Schrittes im Zimmer auf und ab ging, „nicht gelesen, wie wir blamiert sind, nicht gelesen, daß man uns alle zusammen hier eine poetische Badegesellschaft, eine Bänkelsängerbande nennt?“

„Tod und Teufel!“ fuhr der Doktor auf. „Wer wagt es, diese Sprache zu führen? Wer wagt die ersten Geister der Nation auf diese Art zu benennen? Ich will nicht von mir sagen; was


  1. a b c „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ erschienen 1795, „Werthers Leiden“ 1774 und Joh. Martin Millers Klostergeschichte „Siegwart“, eine Nachahmung des „Werther“, 1776.
  2. a b Friedrich Freiherr de la Motte-Fouqué (1777–1843) brachte in seinen Romanen und Schauspielen das Heldentum und die Romantik des Mittelalters zum Ausdruck, während Walter Scott als Schöpfer des wirklichen historischen Romans gilt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 386–387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_194.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2019)