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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Dutzende zählte, und Elise war wie ausgetauscht. Ihre schönen Augen schimmerten dann vor Vergnügen, ihr schlanker Hals bog sich vor, und ohne auf eine Frage des guten Stallmeisters zu achten, ohne seine Antwort abzuwarten, befand man sich mit Blitzesschnelle in einem kritischen oder literarischen Geplänkel, wo Rempen zwar die ungemeine Belesenheit, das schnelle Urteil, den glänzenden Witz seiner Dame bewundern, sie selbst aber bedauern mußte, daß sie dieser Art von Gespräch, diesem gesuchten Vergnügen sichtbarer entgegenkam, als es sich für ein Mädchen von achtzehn Jahren schickte.

„Und an dieses Volk, an diesen literarischen Pöbel, wirft sie ihre glänzendsten Gedanken, ihre zartesten Empfindungen, wirft sie Blicke und Worte weg, die einen andern als diese gedruckten Seelen überglücklich machen würden. Und fühlen sie es denn? sind sie dadurch geehrt, entzückt? Nur mit ihnen spricht sie über das, was sie gelesen, als ob sonst niemand lesen könnte, nur ihnen zeigt sie, was sie gefühlt, als ob gerade diese Versmacher und Rezensenten die gefühlvollsten Leute wären und ein so schönes, liebenswürdiges Wesen zu würdigen verständen. Nein, diese Toren sehen es überdies noch als einen schuldigen Tribut, als eine geringe Anerkennung ihrer eminenten Verdienste an, wenn die Krone aller Mädchen mit ihnen schwatzt wie mit ihresgleichen, während andere wackere Leute in der Ferne stehen. Und diese Menschen, die sich heute so niedrig geberdeten, bilden ihren Hofstaat, dies sind die genialen Männer, mit welchen sie so gerne spricht!“

Diese Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Tag. Sein Stallpersonale konnte sich heute gar nicht in ihn finden. Der gutmütige, milde Herr war zu einem rauhen, mürrischen Gebieter geworden. Die Stallknechte klagten es sich beim Füttern; acht Pferde hatte er hinausgejagt durch dick und dünn, und jedes hatte einen andern Fehler gehabt; die Bereiter hatte er zum erstenmal streng getadelt, und als es Abend wurde, war man im Stall darüber einig, dem Stallmeister von Rempen müsse etwas Außerordentliches begegnet sein, vielleicht sei er sogar in Ungnade gefallen. Man bedauerte ihn, denn sein leutseliges Wesen hatte ihn zum Liebling seiner Untergebenen gemacht.

[395] Und wahrlich! der Abend dieses Tages war nicht dazu gemacht, diese düsteren Gedanken zu zerstreuen. Der Geheimerat von Rempen, sein Oheim, gab alle vierzehn Tage einen großen Klub, in welchem er, das Unmögliche möglich zu machen, die getrenntesten Extreme zu vereinigen suchte; dieser Klub hatte sich früher in drei verschiedene Abteilungen getrennt. Es war in jener Stadt eine literarische Sozietät, deren Mitglied der alte Rempen war; sie versammelte sich, um zu lesen, zu rezensieren, gelehrt zu sprechen; an einem andern Tage war großer, umwechselnder Singtee, an einem dritten Abend Tanzunterhaltung. „Tria juncta in uno, drei Köpfe unter einem Hut“, sagte der alte Rempen und lud sie alle zusammen ein. Der bunteste Wechsel schien ihm die interessanteste Unterhaltung, und darum preßte er wie ein Seelenverkäufer Literatoren, Soldaten, Justizleute, lese-, gesang- und tanzlustige Damen und packte sie in seinen Salon zusammen zu Tee und Butterbrot, in der festen Überzeugung, die wahre Springwurzel der Unterhaltung gefunden zu haben. Für seinen Neffen aber vereinigten sich Himmel und Fegfeuer in diesem Klub. Er hörte Elisen singen; seine nahe Verwandtschaft zu dem alten Rempen, der keinen Sohn hatte, machte es ihm möglich, wie ein Kind des Hauses, nicht wie ein Gast aufzutreten und mit Elisen ungestört zu tanzen und zu plaudern. Aber seine Höllenqualen begannen, wenn er den Oheim, umgeben von einem Kreise älterer und jüngerer Herren, mit wichtiger Miene etwas erklären sah, wenn er endlich ein Buch aus der Tasche zog, durchblätterte, es im Kreise umherzeigte und die Herren vor Freude stöhnten – „Ah – etwas Neues, schon gelesen? Göttlich, vorlesen, bitte vorlesen, Professor am besten lesen – in den Saal und lesen.“ – „Lesen, vorlesen!“ tönte es dann von dem Munde älterer Damen und jener Herren, die nicht tanzen wollten, und Elise – nahm mit einer kurzen Verbeugung Abschied, drängte sich in den literarischen Kreis, wurde als Königin des guten Geschmacks begrüßt, hatte gewöhnlich das Buch schon gelesen, stimmte für die Vorlesung und war für den armen Stallmeister auf den ganzen Abend verloren.

Mit diesen trüben Erinnerungen gelangte er an das Haus

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 394–395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)