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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

längst gern in der Nähe geschaut, und so studierte ich diesen Hohlkopf. Wenn allerlei Mittel von außen her einen Dichter machen könnten, er müßte es längst sein. Denken Sie sich, er trägt, wenn er sich zum Dichten niedersetzt, einen Schlafrock, dessen Unterfutter aus einem Schlafrock gefertigt ist, den einst Wieland trug. Hoffmanns Tintengefäß hat er in Berlin erstanden, von einem Sattler in Weimar aber den ledernen Überzug eines Fauteuil, in welchem Goethe oft gesessen. Mit diesem hat er seinen Stuhl beschlagen lassen, und so will er seine Phantasie gleichsam a posteriori erwärmen. Auch liegt auf seinem Tisch eine heilige Feder, Schiller soll damit geschrieben haben. Er hat gehört, daß große Dichter gern trinken, darum geht er morgens ins Weinhaus und zwingt sich zu einer Flasche Rheinwein; abends aber, wenn er schon ganz dumm und schläfrig ist, trinkt er schwarzen Kaffee mit Rum und liegt dann in schrecklichen Geburtsschmerzen und ist gewärtig, irgend eine neue ‚Maria Stuart‘ oder ‚Jungfrau von Orleans‘ hervorzubringen.“

Indem der Magister Bunker also sprach, schlug es eilf Uhr, und nicht sobald hatte er den ersten dumpfen Ton der Glocke vernommen, als er hastig sein Glas austrank, einige Groschen auf den Tisch legte, dem erstaunten Stallmeister mit einer gewissen freundlichen Rührung die Hand bot und sie ihm und Palvi herzlich drückte. Dann aber rannte er so eilends aus dem Entenzapfen, daß Rempen nicht einmal sein freundliches „Gute Nacht“ erwidern konnte.

„Sie staunen“, sprach der Referendär, „daß uns der sonderbare Mensch so plötzlich und verwirrt verläßt. Er wohnt bei einem strengen Mann, der immer fünf Minuten nach eilf Uhr die Haustüre schließt. Weil nun der arme Magister eigentlich als Almosen sein Freilogis genießt, darf er keinen Hausschlüssel führen, wie Leute, die ordentlich bezahlen, und so jagt er wie ein Gespenst, das mit dem Hahnenschrei in sein Grab entweicht.“

„Ist dieser Mensch glücklich oder unglücklich zu nennen?“ fragte Rempen nicht ohne Bewegung.

„Ich denke, glücklich“, erwiderte Palvi sehr ernst; „wer wenig hofft, hat nichts zu fürchten; er ist ruhig. Die Zeit mildert ja alles, und für die Erinnerung ist er kalt geworden.“

[423] „Hat er je geliebt?“

„Er hat geliebt, die Tochter jenes Hauses in Kurland, wo er Erzieher war. Er muß sehr liebenswürdig gewesen sein, denn die junge Gräfin starb nachher aus Kummer. Er selbst aber brachte zwei Jahre tiefer Schwermut in einem Irrenhause zu.“

„Gott, welch ein Schicksal!“ rief der junge Mann gerührt. „Wer hätte dies ahnen können? er hat uns eine so heitere Außenseite gezeigt.“

„Wozu soll er seinen Schmerz zur Schau tragen?“ entgegnete Palvi; „er gehört nur sein, und er verschließt ihn mit den Trümmern besserer Tage in seiner Brust. Ich denke, es ist dies die einzige Art, wie Männer leiden müssen.“

„Es müßte mich alles täuschen“, sagte Rempen nach einer Pause, „oder auch Sie lieben nicht glücklich. Nennen Sie mich nicht unbescheiden. Sie haben mir zu viel Interesse eingeflößt, als daß nicht meine wärmste Teilnahme bei dieser Frage wäre.“

Der Referendär sah ihn überrascht, doch nicht gerade verwundert an; sein ernstes, dunkles Auge schien die Züge des Fragenden noch einmal zu prüfen. „Es gibt wenige Menschen“, antwortete er, „die diese Frage an mich gerichtet hätten. Doch an Ihnen freut mich gerade diese Offenheit. Ich weiß, Sie meinen Elise Wilkow; ich liebe sie.“

„Und werden wieder geliebt?“ fragte Rempen errötend.

„Ich zweifle; doch möchte ich von Ihnen nicht verkannt werden, darum will ich Ihnen die kurze Geschichte dieser Liebe geben. Meine Eltern, sie sind beide tot, lebten in dieser Stadt. Unser Haus war mit den Wilkows sehr befreundet, denn mein und Elisens Großvater sind aus demselben Lande hier eingewandert. Ich bin um so viel älter denn Elise, daß uns unsere Kinderspiele nicht zusammenführten. Wohl aber durfte ich, als auch meine Mutter starb, das Haus hin und wieder besuchen, und ich faßte in einem noch sehr jungen Herzen eine glühende Neigung für das schöne Kind. Nach den ersten Jahren meines Universitätslebens kam ich hieher. Sie war herrlich herangeblüht und gestand mir, daß sie mir recht gut sei. Elise war damals fünfzehn Jahre alt. Ich kam in rohe Gesellschaften. Mein Vermögen und mein Stipendium reichten nur das erste Mal hin, meine Schulden zu

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 422–423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_212.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)