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nicht wirkliche Aufschriften gewesen? sind nicht viele der schönsten in der Anthologie als Aufschriften gedacht und verfertigt worden? Gleichviel ob sie auf Gräbern und Bildsäulen, auf Bädern und Tempeln wirklich standen oder nicht standen; wurden sie als Inscriptionen erfunden: so blieben sie solche auch in der Schreibtafel des Dichters.

Zweitens. Das Epigramm soll wie ein Denkmal Aufmerksamkeit erregen und wie die Aufschrift desselben diese erregte Erwartung befriedigen; von welcher Art ist aber die Aufmerksamkeit, die ein Denkmal erregt und seine Aufschrift befriedigt? Es wäre übel, wenn dies bloße Neugierde seyn sollte: denn diese Neugierde, die flüchtigste und flachste aller Bewegungen unsrer Seele wird oft durch ein Nichts gereizt und durch ein Nichts befriedigt. Jedes edlere Denkmal, jedes Kunstwerk insonderheit, will auf tiefere, schönere Empfindungen wirken und warum sollte das Epigramm, das dieser Theorie zufolge, dem Denkmal nachbuhlet, sich also mit

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_108.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)