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Bürde scharfsinniger Antithesen wie ein Gefangener einher und je blendender der Raub ist, mit dem ihn der Dichter beschwerte, desto mehr wird er selbst unter diesem drückenden Gepäck gleichsam unsichtbar. Es war nicht unsers fleißigen Dichters sondern seiner Zeit Fehler: denn man weiß, wohin durch einen falschen Geschmack im vorigen und im Anfange unsres Jahrhunderts die epigrammatische Kunst gesetzt wurde. Glücklicher Weise hat der Strom der Zeit auch hier vielen Schlamm abgesetzt und dadurch seine Welle geläutert. Die scharfsinnigsten ältern Epigrammatisten unsrer Sprache sind beinah vergessen oder für uns schwer zu lesen; gerade nur die, die in der klaren leichten Exposition dem griechischen Geschmack nahe sind, Opitz und Logau sind und zwar in eben den Stücken am gefälligsten, in denen sie sich der griechischen Einfalt nähern. Auch die schönsten Sinngedichte Kleist, Ewalds, Gleims, Kästners, Leßings sind von dieser Art. Sobald ihr Gegenstand in Einfalt vortreten und gleichsam durch

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)