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und wie viele schöne Stücke des Alterthums sind da, die, wenn man sie mit einigem Gefühl ansieht, die zarteste Inschrift uns gleichsam zuhauchen! Glücklich ist der Jüngling, dem das Schicksal einen Lehrer schenkt, der hier sein Auge und seinen Verstand leitet. Er zeigt ihm, worauf es der Künstler eigentlich anlegte? wie und worinn seine Seele, die längst im Schattenreich ist, noch jetzt aus seinen Werken zu uns spreche? Der Funke also, der in des Meisters Gemüth glühete, wird auch der helle Punct, der im Lehrlinge zündet, ja mit dem er die Weisheit des ganzen dastehenden Werks beleuchtet. Kleine Inschriften dieser Art mit klaren, bestimmten Zügen sind mehr werth, als lange Abhandlungen voll allegorischer Gelehrsamkeit oder als Lobjauchzungen voll Wolken, Blitze und Nebel. Mit einer solchen Inschrift nehmen wir gleichsam Besitz von dem geliebten Gegenstande, den wir damit aus uns und für uns anzeichnen: wir fühlen das Glück, daß wenn wir ihn gleich nicht schaffen konnten, so können wir ihn dennoch,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)