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Eine der Bedeutungsvollesten und feinsten Dichtungen der Griechen war die Nemesis; eine so vielgewandte Idee, daß sie im Deutschen schwerlich durch ein Wort ausgedrückt werden könnte. Bei Homer kommt sie als eine personificirte Göttin noch nicht vor, obwohl der häufige Gebrauch des Ausdrucks: ου νεμεσις, „Darinn ist kein Tadel, das wird oder das wolle niemand mit Unwillen ansehen“ nebst andern, die ihm verwandt sind, gnugsam zeigen wie tief die Empfindung dessen was durch die Göttin bedeuten ward, in der Seele des Dichters gelegen habe. Allegorische Begriffe führt überhaupt Homer nur selten und kurz auf; auch gab ihm der Inhalt seiner Gedichte, die meistens um kriegerische Thaten sich schlingen, zur epischen Aufführung dieser Göttin keinen Anlaß. In den alten Gedichten aber, die Hesioduus Namen tragen, kommt Nemesis schon als ein personificirtes

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)