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Unglück. Also eine Machthaberin über dasselbe, seine einschränkende Bewahrerinn und gleichsam die Zunge an der Glückswaage; kurz Die Göttin des Maasses und Einhalts, die strenge Aufseherin und Bezähmerin der Begierden, eine Feindin alles Ubermuths und Uebermaaßes in menschlichen Dingen ist sie, die sobald sie dieses gewahr wird, das Rad kehret und ein Gleichgewicht herstellt. Wäre mir der Ausdruck erlaubt, so würde ich sie

Die missbilligende Göttin

nennen, die nämlich dem Sterblichen folgt, still in den Busen blickt und ihm die kleinste Ueberschreitung ernst verdenket. Das war der moralisch-feine und sehr philosophische Begrif, den die Kunst der Griechen aus jener rohen Materie von der Veränderlichkeit des Glücks, von seinem Unwillen an Uebermuth und Stolz, vom Neide des Schicksals u. f. geläutert emporzog; wobei ich aber nicht läugne, daß der Name Nemesis und noch mehr ihr Beiwort Adrastea, je nachdem man desselbe ableitet und heraufhob,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_244.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)