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den Achilles sein Freund Patroklus; er erwacht und glaubt dem Traume und so sind unter allen Nationen der Erde die Begriffe vom Tode und dem Todtenreich vorzüglich aus Bildern der Nacht, des Schlafs und Traums zusammen gedichtet worden. Wenn man also so gern vom Todten sagt: „er schläft!“ ja wenn dieses einen jeden der Anblick lehrte: was war natürlich als daß der Schlaf ein Bild des Todes auch in Ausdrücken der Sprache, Kunst und Dichtkunst wurde? Und da weder die Kunst noch Dichtkunst den Begrif von Aehnlichkeit beider besser sinnlich machen konnte, als daß sie solche zu Brüdern schuf: wer konnte ihre Mutter seyn, als die Nacht? Als die Kinder kamen sie also der Mutter Nacht in die Arme: a)[1] denn auch bei den ältesten Dichtern der Tradition waren sie schon leibliche Brüder. b)[2]


  1. a) Pausan. Eliac. c. 18. Montfaucon antiquit. compend. Semleri tab. 132. Fig. 3.
  2. b) Iliad. [?] 681. 82. Hesiod. Theogon. 756 [292] Orphei hymn. 84. v. 8. Leßing (S. 78.) zweifelt, daß der schwarze Genius in den Armen der Nacht den Tod und nicht den Schlaf vorgestellet habe; wenn man aber die verschiedene Beschreibung Hesiods und andrer Dichter von beiden lieset und dazu nimmt, daß das Kunstwerk aus jenen alten Zeiten gewesen sei, wo man, wie auch die andern Vorstellungen zeigen, die Bedeutung strenge und oft fürchterlich ausdrückte: so ist daran wohl kein Zweifel. Bei allen Dichtern ist der Schlaf der sanfte Genius, dagegen der Tod in unzählichen Stellen der fürchterliche, schwarze genannt wird.
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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_291.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)