Seite:De Zerstreute Blätter IV (Herder) 140.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

den Zunamen des Glücklichen: denn dies bedeutet Sadi. Sein erstes Buch schrieb er im fünf und achtzigsten Jahr seines Lebens, da gewiß seine Erfahrung reif geworden war, und soll über hundert Jahre gelebt haben. Seine Landsleute nennen Ferdusi ihren ersten heroischen, Enweri, ihren ersten Elegischen, Sadi ihren ersten lyrischen Dichter; und obgleich Haphyz, von dessen Gazellen oder Liebes-Oden wir zu einer anderen Zeit Proben geben werden, 6) [1] hundert Jahre nach ihm in lyrischen Gedichten den höchsten Ruhm erhalten: so ist doch des Sadi Ruhm und Werth in seiner Gattung dabei ungekränkt geblieben. Unweit Schiras liegt er begraben, 7) [2] und er wird als ein Heiliger mit Recht



  1. 6) Das Stück S. 90. ist von Haphyz.
  2. 7) Es wird nicht unangenehm seyn, die Beschreibung dieses Grabes aus einer der neuesten Reisen über Persien hier zu lesen; Eine englische Meile östlich vom Garten Dil Guschaje (Erweiterung des Herzens) ist das Grab des berühmten Sadi. Es liegt am Fuße eines Berges, der Schiras gegen Nordost begränzt [123] und ist ein großes viereckiges Gebäude, an dessen oberem Ende zwei Akloven in der Mauer angebracht sind. Der zur rechten Hand ist das Grab des Dichters, noch ganz in dem Zustande, wie damals, da er begraben ward, von Steinen gebauet, sechs Fuß lang und drittehalb breit. An den Seiten derselben sind verschiedene Sentenzen in den alten Neskhi-Buchstaben eingegraben, die sich auf den Dichter und seine Werke beziehen. Sadi lebte ungefähr vor fünf hundert und funfzig Jahren, und seine Werke stehen wegen ihrer Moralität und wegen der darinn enthaltenen vortreflichen Lehren, bei allen Orientalischen Nationen in großer Achtung. Ueber dem Grabe ist ein Deckel, von schwarzem, mit Gold gemahltem Holz, woran eine von den Oden des Dichters in den modernen Nustalihk-Buchstaben steht: [124] und wenn man dieses Brett wegnimmt, so sieht man den leeren steinernen Sarg, worinn er begraben ward. Diesen bestreuen Sadis Verehrer, die hieher kommen, sorgfältig mit Blumen, Rosenkränzen und mancherlei Reliquien. Oben auf dem Grabe liegt zu jedermanns Ansicht ein sehr schöne Abschrift von Sadis Werken, und an den Mauern sind verschiedene Persische Verse von denen Personen angeschrieben, die von Zeit zu Zeit hier gewesen sind. Nahe bei diesem Gebäude sieht man Gräber verschiedener frommen Leute, die hier auf ihr eigenes Verlangen beerdigt worden sind. (S. William Franklin’s Bemerkungen auf einer Reise von Bengalen nach Persien. Seite 48.


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_140.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)