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Ausdruck, so daß wir solche unvermerkt an uns nehmen und auf andre fortpflanzen. Dies ist das unsichtbare, magische Band, das sogar Geberden der Menschen verknüpft; eine ewige Mittheilung der Eigenschaften, eine Palingenesie und Metempsychose ehemals eigner, jetzt fremder, ehemals fremder, jetzt eigner Gedanken, Gemüthsneigungen und Triebe. Wir glauben allein zu seyn und sinds nie: wir sind mit uns selbst nicht allein; die Geister andrer, abgelebter Schatten, alter Dämonen, oder unsrer Erzieher, Freunde, Feinde, Bildner, Misbildner, und tausend zudringender Gesellen wirken in uns. Wir können nicht umhin, ihre Gesichte zu sehn, ihre Stimme zu hören; selbst die Krämpfe ihrer Misgestalten gehn in uns über. Wohl ihm, dem das Schicksal ein Elysium und keinen Tartarus zum Himmel seiner Gedanken, zur Region seiner Empfindungen, Grundsätze und Handlungsweisen anwies; sein Gemüth ist in einer fröhlichen Unsterblichkeit gegründet.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)