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Anfänge seines Weltschmerzgefühls, der ἀκήδεια. Das steigert sich mit den Jahren. Der Student der Rechte in Montpellier und Bologna, der Stutzer und Pfründenbettler in Avignon lebt in derselben Stimmung. Seine Liebe zu Laura entbindet in ihm den dichterischen Genius, aber sein canzoniere ist eine einzige Variation desselben Themas; wenn er heute und vor allem auf den Nicht-Italiener eintönig wirkt, so ist der Grund diese durchgehende Melancholie. Aber das ist nicht alles. Petrarcas Liebe ist ihrem Wesen nach eine Troubadourliebe, die mit dem Besitz der Geliebten aufhören würde. Was Petrarca von den Troubadours scheidet, ist zweierlei: das erste ist die Fähigkeit das Leben in seiner Buntheit, die Natur in ihrer Farbigkeit, die Menschen in ihrer Verschiedenheit zu sehen. Dadurch bleibt auch Laura selbst davor bewahrt, ein philosophisches Symbol zu werden, wie es Dantes Beatrice geworden ist. Das zweite sind die Losreißungen Petrarcas. Diese äußern sich doppelt, scheinbar entgegengesetzt: in seinen Reisen, die ihn ohne andern Zweck als den zu sehen[1], durch Frankreich, an den Rhein, nach Rom und nach Neapel führen, und in seinem Hang zur Einsamkeit, der ihn nach Vaucluse führt. Beidemale verstärken antike Reminiszenzen den natürlichen Hang eines unbefriedigten, noch immer nach Wirklichkeit verlangenden und sie nicht findenden Menschen. Petrarcas Reisen werden Entdeckungsfahrten nach Handschriften von Klassikern, und seine Einsamkeit wird ein ästhetisches, überall mit den Farben der Antike ausgeschmücktes Idyll. Petrarca schafft sich als erster eine ästhetische Umwelt, in der er lebt, procul ab hominibus, non ab humanitate alienus.

Was fehlt, ist die Zusammenfassung der disiecta membra antiquitatis, mit denen er sich herumschlägt, zu einem Weltbild, in dem sein Geist ruhen kann. Dies erfolgt auf einem Umweg, durch den Versuch einer Bekehrung[2]. Petrarca braucht dazu ein Vorbild und einen Beichtiger: Augustin. Dieser soll dem besseren Teil

  1. Epp. famil. I, 3: Gallias ego nuper, nullo quidem negotio, sed visendi tantum studio et iuvenili quodam ardore peragravi; vgl. III, 2: tulit et nos multa videndi ardor per terras et maria.
  2. Hauptquelle dafür sein Secretum. Eine Übersetzung von Hermann Hefele in Marie Herzfeld, Das Zeitalter der Renaissance I, 2. Jena, Diederichs 1910. S. 14 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)