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wenig gelernt haben, doch in einem ganz anderen Sinne als etwas ganz Neues, wie es die Juristen und die Theologen getan haben. Sie ziehen aus, um die Barbarei aus Deutschland zu vertreiben, die „ingenia zu polieren“. Sie führen den eigentlichen Kampf des Humanismus gegen die scholastischen Methoden an Schulen und Universitäten und führen ihn mit Unverschämtheit und Rücksichtslosigkeit zum Siege.

Unter ihnen ist wenigstens eine ganz geniale Persönlichkeit, Konrad Celtis[1], der deutsche Erzhumanist, wie ihn D. F. Strauß gut genannt hat. Er ist ein wirklicher Dichter. Hätte er deutsch gedichtet, man würde vielleicht weniger eifrig bei Hans Sachs die Züge eines dichterischen Ingeniums suchen. Jedenfalls kann man sie bei Celtis finden, und der Gegenstand seiner Dichtung ist sein Leben. Es hat keine großen Gegenstände. Widersacher, Weiber, Schulden, das ist etwa das Materielle. Aber dazu kommen die geistigen Inhalte. Als fahrender Poet entdeckt Celtis Deutschland aufs Neue, das Lebende und das Vergangene. Den Zeugen der Vergangenheit stöbert er in den Bibliotheken nach. Er sieht sie mit anderen Augen als Trithemius oder die humanistischen Mönche überhaupt, denen er manchen Fingerzeig verdankt haben mag. Er ist kein Forscher, sondern nur ein Finder, dem seine Beutezüge dasselbe bedeuten wie einem Ritter seine Abenteuer. Aber er entdeckt die römische Straßenkarte, die wir als die Peutingersche Tafel kennen, entdeckt die Roswitha und den Ligurinus, die in ihm die Meinung bestärken, daß die alten Formen der deutschen geschichtlichen Überlieferung poetische gewesen seien. Als Dozent in Ingolstadt und dann in Wien entwirft und verficht er das Programm der neuen Dichtung, die auf der Poesie als einer ästhetisch-philosophischen Allwissenschaft ruhen soll. Er ist spekulativ in der Erfassung des Verhältnisses von Natur und Menschenwesen, patriotisch in seiner betonten Gegensätzlichkeit gegen die Italiener, religiös in seiner Anknüpfung an die „druidische“ Urweisheit der Germanen.

Celtis ist es auch, der dieser neuen Bildung ihre Kampftruppen schafft, die humanistischen Sodalitäten. Sie sind Nachahmung

  1. Das Beste über ihn noch jetzt der Aufsatz von Friedrich von Bezold, zuerst Histor. Zeitschrift Bd. 49, jetzt in der Sammlung der Aufsätze Bezolds, Aus Mittelalter und Renaissance. München 1918.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_024.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)