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Ignatz (Isaac) Lichtenstein: Der Talmud auf der Anklagebank

enthalten ist. Oder, mit andern Worten: Das Judenthum ist das alte Testament, erklärt nach den mündlichen Ueberlieferungen תורה שבעל פה‎, das Christenthum ist das alte Testament, erklärt durch das neue. Demgemäß lehren die jüdischen Gebetbücher (im Sinne der Rabbiner) den göttlichen Ursprung des mündlichen Gesetzes“ u. s. w.

Daß die Rabbiner ihren Gesetzen den Gottesstempel aufdrückten, lag im Ideenkreise, in der Ansicht, in dem Innen- und Außenleben jener Zeit. Nur höhere Befehle, nur Worte, die von oben zu kommen schienen, fanden Vertrauen, Beachtung und Gehorsam. Selbst Lykurg, der das größte Ansehen, die höchste Verehrung und Werthschätzung in seiner Vaterstadt Sparta besaß, mußte, um seinen weisen beglückenden Gesetzen Eingang, feste Wurzel zu verschaffen, das Orakel zu Delphi befragen lassen. Daß aber die Rabbiner ihre Verordnungen nicht als unveränderlich, wie die Worte Gottes, die ewiglich bestehen, empfohlen, sondern es den zeitweiligen berufenen Gesetzkundigen überließen, nach Zeit und Verhältnissen, nach Einsicht und Ueberzeugung Gesetze, Verordnungen zu erlassen oder aufzuheben אין לך לילך אלא אצל שופט שבימיך וגו׳ ר״ה כ׳ה א׳ das zeugt eben von dem geklärten, erhabenen, geläuterten Geist, von der liberalen, unparteiischen Auffassung der Talmudisten. „Schicket euch in die Zeit“, war die Devise der Talmudisten wie der Evangelisten.[1]

Nun können wir schon schneller dem Verfasser folgen, indem er Seite 8 fortfährt: „Im Talmud Psachim Seite 8, 2, lesen wir folgendes: אמר רבי אלעזר עם הארץ מותר לנוחרו ביום הכפורים שחל להיות בשבת אמרו לו תלמידיו רבי אמור לשחטו אמר להן זה טעון ברכה וזה אין טעון ברכה „Rabbi Eleasar sagte, es ist erlaubt einem Amhaarez die Nasenlöcher aufzureißen, sogar an einem Versöhnungstage, der auf den Sabbath fällt. Da sagten seine Schüler zu ihm: Rabbi, sage lieber, daß es erlaubt sei, ihn


  1. Auch Christus hatte eine Antipathie gegen Zeichen, (Matth. 12, 39,) und dennoch war er als Kind seiner Zeit, als Menschensohn zu seinen Zeitgenoßen herabgestiegen, um sie, als Gottessohn, zu sich emporzuheben.
Empfohlene Zitierweise:
Ignatz (Isaac) Lichtenstein: Der Talmud auf der Anklagebank. Buchdruckerei von Victor Hornyánszky, Budapest 1886, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Talmud_auf_der_Anklagebank_durch_einen_begeisterten_Verehrer_des_Judenthums_-_012.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)