Seite:Deutscher Liederhort (Erk) 144.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
41c. Die Kindesmörderin.
1.
Es wollt ein Hirtlein treiben aus,

er trieb wol vor den Grunwald naus.

2.
Und wie er vor den Grunwald treibt,

da hört er schrein ein Kindelein.

3.
„Ach sag, mein Kindlein, wo du bist?

ich hör dich schon, ich seh dich nicht.“

4.
‚‚‚Ich bin im hohlen Baum versteckt,

mit Eichenspänlein zugedeckt.

5.
‚‚‚Ach nimm mich, nimm mich, Hirtelein,

und trag mich in die Stadt hinein!

6.
‚‚‚Und trag mich in dasselbige Haus,

dort wo meine Mutter ist die Braut!

7.
‚‚‚Ei Mutter, nimm ab dein Kränzelein,

du hast geborn drei Söhnelein:

8.
‚‚‚Das eine hast du in Mist versenkt,

das ander hast du im Wasser ertränkt,

9.
‚‚‚Und mich hat Christ der Herr ernährt,

daß mich nicht habn die Würmlein verzehrt.‘‘‘

10.
„„So wahr daß ich deine Mutter bin,

komm auch der Geier gleich nach mir!““

11.
Und wie die Braut das Wort aussprach,

der Geier zu der Thür rein sach:

12.
„Guten Tag, guten Tag, ihr Hochzeitsleut!

die Braut die soll mein eigen sein.“

13.
Er tanzt mit ihr den ersten Tanz,

er drückt ihr sBlut zu den Nägeln raus:

14.
„„Hätt mich mein Vater recht erzogn,

so hätt mich die Hölle nicht betrogn!““

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_144.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2019)