Seite:Deutscher Liederhort (Erk) 342.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
153b. Kranzsingen.
1.
Ich kumm aus fremden Landen her

und bring euch viel der neuen Mähr;
der neuen Mähr bring ich so viel,
mehr dann ich euch hie sagen will.
Die fremden Land die seind so weit,
darinn wächst uns gut Sommerzeit,
darinn wachsen Blümlein roth und weiß,
die brechen die Jungfrauen mit ganzem Fleiß
und machen daraus einen Kranz
und tragen ihn an den Abendtanz,
und lohn die Gsellen darum singen
bis Einer das Kränzlein thut gewinnen.

2.
Mit Lust trit ich an diesen Ring,

Gott grüß mir alle Burgerskind,
Gott grüß mirs all geleiche,
die armen als die reichen;
Gott grüß mirs allgemeine,
die großen als die kleinen!
Sollt ich Eine grüßen und die Ander nicht,
so sprächens, ich wär kein Singer nicht.
Ist kein Singer um diesen Kreis,
der mich wol hört und ich nicht weiß?
derselbig thu sich nit lang besinnen
und thu bald zu mir einher springen!

3.
Singer, so merk mich eben!

ich will dir hie ein Frag aufgeben:
Was ist höher weder Gott,
und was ist größer dann der Spott,
und was ist weißer dann der Schnee,
und was ist grüner dann der Klee?
Kannstu mirs singen oder sagen,
das Kränzlein sollt du gewunnen haben;
darum will ich jetz stille stahn
und den Singer zu mir einher lahn.

     Ein ander Singer.

4.
Mit Lust trit ich an diese Statt,

Gott grüß mir ein ehrbarn weisen Rath,
ein ehrbarn Rath nicht alleine,
darzu ein ganze Gemeine!
Ein ehrbarn Rath hab ich wol zu grüßen Macht,
Gott grüß mir ein ganze Nachbarschaft,
Gott grüß mir das Jungfräulein zart
und die das Kränzlein gemachet hat!
Jungfrau, ich kumm für euch getreten
und hab euch vor nie kein Mal gebeten
und bitt euch zarts Jungfräuelein
zum ersten Mal um eur Kränzelein,
ihr wöllet mirs geben und nicht versagen,
so will ichs von euretwegen tragen,
von euretwegen nicht allein,
von allen den Jungfräulein gmein,
die das Kränzlein hand machen lohn,
die Rath und That darzu hand thon.

5.
„Singer, du hast mir ein Frag aufgeben,

die gfällt mir wol und ist mir eben:
Die Kron ist höher weder Gott,
die Schand ist größer dann der Spott,
der Tag ist weißer dann der Schnee,
das Märzenlaub ist grüner dann der Klee.
Singer, die Frag hab ich dir thun sagen,
das Kränzlein sollt du verloren haben.“

6.
Jungfrau, so merkt mich eben!

ich will euch ein Frag aufgeben,
wann ihr mirs thut singen oder sagen,
euer Kränzlein sollt ihr länger tragen.
Jungfrau, sagt mir zu dieser Frist,
welches die mittelst Blum im Kränzlein ist?
der Blümlein eben viel seind,
die umher in dem Kränzlein stehnd.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_342.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)