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	Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort

205. Das Leiden des Herrn.

Langsam.

Melodie mündlich, aus Schlesien. (Grafschaft Glaz.)

Noten

1.

Als Christ der Herr in Garten gieng

und ihm sein bittres Leiden anfieng,
da trauert Laub und grünes Gras,
weil Judas sein Verräther was.

2.

Da kamn die falschen Juden gegangn,

sie nahmn den Herrn im Garten gefangn;
sie habn ihn gegeißelt und gekrönt,
sein heilgen Leichnam gar verhöhnt.

3.

Sie führtn ihn in des Richters Haus,

mit scharfen Streichen wiedrum raus;
sie hiengen ihn an ein hohes Kreuz,
Maria war ihr Herz beleidt.

4.

Maria hört ein Hämmerlein klingn:

„Ach weh, ach weh meins lieben Kinds!
ach weh, ach weh! meins Herzn ein Kron,
mein Kind will mich verlassen schon!“

5.

Da kam ein blinder Jud gerannt,

der führt ein Speer in seiner Hand;
er führts so stark in seiner Faust,
stach Jesu seine Seiten auf.

6.

Maria kam untr das Kreuz gegangn,

sie sah ihr liebes Kind da hangn
an einem Kreuz, war ihr nicht lieb;
Maria war ihr Herz betrübt.

7.

„Johannes, liebster Jünger mein,

laß dir mein Mutter befohlen sein!
nimms bei der Hand, führs weit hindann,
daß sie nicht sieht mein Marter an!“

8.

‚‚‚Ach Herr, das will ich gerne thun,

ich will sie führen weit davon;
ich will sie trösten also wol,
wie ein Kind sein Mutter trösten soll.‘‘‘

9.

Er nahm sie bei der rechten Hand,

er führt sie weit vom Kreuz hindann,
weit von dem Kreuz, war ihr nicht lieb;
Maria war ihr Herz betrübt.

10.

„Nun bieg dich, Baum! nun bieg dich, Ast!

mein Kind hat weder Ruh noch Rast;
nun bieg dich, Laub und grünes Gras!
laßt euch zu Herzen gehen das!“

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_415.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)