Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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und ihren Hausstand mit dem Grafen Lucchesi theilen. Dann sollen ihre Kinder erfahren, daß ihre Mutter verheirathet ist, und dann mag sie zu uns kommen, um ihre Kinder zu umarmen.“
Schon vor dieser Entscheidung König Karls hatte die Herzogin selbst die Nothwendigkeit eingesehen, sich zunächst mit dem Grafen Lucchesi zu vereinigen, und deshalb gab sie dem Gouverneur Bugeaud auf die Frage, wohin sie entlassen zu werden wünsche, Palermo als Ziel an. Die Regierung ließ die Fregatte „Agathe“ für die Ueberfahrt der Herzogin und ihrer Tochter herrichten, und die Herzogin traf ihre Reisevorbereitungen. Für Herrn von Brissac und Frau von Hautefort, die sie nicht begleiten wollten, fand sie nicht ohne Mühe in Herrn von Mesnard, ihrem alten Gefährten, und in dem Fürsten und der Fürstin von Baufremont Ersatz. Der General Bugeaud und die Doktoren Deneux und Ménière begleiteten sie in amtlichem Auftrage. Ueber die Einschiffung, die unter Zulauf einer großen Volksmenge stattfand, wurde wiederum ein amtliches Protokoll aufgenommen. Am 8. Juni trat die Fregatte ihre Fahrt nach Palermo an.
Die nach Blaye gedrungene und von der Herzogin freudig aufgenommene Nachricht, daß der Graf Lucchesi sie in Blaye aufsuchen und vielleicht abholen werde, hatte sich nicht bewahrheitet. Ueber die Beziehungen, welche bis dahin zwischen ihm und ihr bestanden, haben immer einige Zweifel geherrscht. Es blieb nicht unbemerkt, daß eine legitimistische, im Verhandeln sehr gewandte Dame, Frau von Cayla, bald nach der Verhaftung der Herzogin im Haag erschien, wo der Graf Lucchesi damals als Geschäftsträger des Königs von Neapel weilte. Die Tochter dieser Dame war mit der in Blaye mit eingeschlossenen Frau von Hautefort befreundet. Die legitimistischen Geschichtschreiber sprechen von dieser Ehe so, daß sie sie als eine jener morganatischen Ehen bezeichnen, „welche die offizielle Stellung der Fürsten nicht beeinflussen“, oder sie schweigen ganz darüber.
Ueber die am 5. Juli erfolgte Ankunft der Fregatte in Palermo und den Empfang, der den Reisenden dort bereitet wurde, liegen Berichte von Bugeaud, von seinem Adjutanten Saint Arnaud und von Ménière vor. Wir erfahren, daß der Graf Lucchesi, ein stattlicher Mann in den dreißiger Jahren, zugleich mit einigen hohen sicilianischen Beamten, unter denen sich ein Kammerherr und ein Admiral des Königs beider Sicilien befanden, zur Begrüßung an Bord der „Agathe“ kam. Er blieb längere Zeit mit der Herzogin allein. Die sicilianischen Herren unterhielten sich indessen mit den Begleitern und dem Gefolge. Man meinte, ihnen eine gewisse Verlegenheit anzumerken; sie versicherten, von der Heirath nur durch die Zeitungen unterrichtet worden zu sein und für die Unterkunft der Herzogin nichts vorbereitet zu haben. Als dann der Graf und die Herzogin auf dem Verdeck erschienen, fiel es allen drei Augenzeugen auf, daß der Graf sich um das Kind nicht kümmerte. Die Herzogin verabschiedete sich kühl von den Franzosen und fuhr mit dem Grafen ans Land; die Wärterin mit dem Kinde folgte in einem zweiten Boot. General Bugeaud ließ sich von dem Minister für Sicilien, Fürsten von Campo-Franco, dem Vater des Grafen, die Ablieferung der Herzogin und ihres Kindes bestätigen und fuhr dann sofort nach Toulon.
Die französische Regierung war einer schweren Sorge ledig. Billig war ihr der Zwischenfall nicht zu stehen gekommen; die Kosten für die Auffindung, die Haft und die Reise der Herzogin beliefen sich auf mehrere Millionen Franken.
Die Herzogin und der Graf begaben sich mit dem Kinde von Palermo nach Neapel, aber weil man sie dort nicht gerne sah, blieben sie nur wenige Wochen. Vom 20. August bis zum 3. September weilten sie in Rom. Dort soll in aller Stille die kirchliche Einsegnung der Ehe stattgefunden haben. Der Papst Gregor XVI. empfing wiederholt den Besuch der Herzogin und taufte das Kind in der Peterskirche eigenhändig. Es starb im November desselben Jahres in Livorno. In Leoben erfolgte eine Art Aussöhnung der Herzogin mit dem alten Könige Karl X. und ein Wiedersehen mit ihren beiden Kindern erster Ehe. Doch wurde das Verhältniß der Herzogin zu den übrigen Mitgliedern der Königsfamilie kein freundliches mehr, und sie lebte fortan meist getrennt von ihnen.
Das Lucchesische Ehepaar ließ sich erst in Graz nieder und wohnte dann auf dem von ihm angekauften Schlosse Brunnsee in Steiermark. Der Ehe entstammten noch vier Kinder, nämlich drei in den Jahren 1835, 1836 und 1838 geborene Töchter, die sich mit italienischen Adligen verheiratheten, und ein im Jahre 1840 geborener Sohn. Die Spielsucht des Grafen brachte die Familie, deren Mittel nicht bedeutend waren, zuweilen in Geldverlegenheit. Er starb im Jahre 1864 zu Brunnsee, und die Herzogin folgte im Jahre 1870. Die Kinder sind alle noch am Leben, und der Sohn, der den Titel eines Herzogs della Grazia führt und mit seiner Familie meist in Venedig wohnt, ist noch Besitzer von Brunnsee.
Das alte Sprichwort, daß der Prophet nichts gelte in seinem Vaterland, hat sich kaum jemals augenscheinlicher bewährt als bei Robert Mayer, dem Entdecker eines der wichtigsten – man darf wohl sagen des wichtigsten der physikalischen Gesetze. Was Newton für die Schwerkraft, hat Mayer für die „Wärmekraft“ gethan, indem er die kosmische Allgemeinheit und Unzerstörbarkcit auch dieser Energieform, sowie den innigen Zusammenhang der Zwillingsschwestern nachwies.
Am 25. November 1814 zu Heilbronn a. N. als der jüngste von den drei Söhnen eines wohlhabenden Apothekers geboren, besuchte Mayer das Gymnasium seiner Vaterstadt, später das Vorbereitungsseminar Schönthal und 1832 die Universität Tübingen, wo er sich dem Studium der Medizin widmete. Nachdem er 1838 als Doktor promovirt und sein Staatsexamen mit gutem Erfolge gemacht hatte, begab er sich 1839 über Paris nach Rotterdam, um als Schiffsarzt auf einem Ostindienfahrer eine Reise nach Java zu unternehmen. Hier, bei Gelegenheit reichlicher Aderlässe zur Bekämpfung einer akuten, unter der Schiffsmannschaft ausgebrochenen Lungenkrankheit, bemerkte der junge Arzt, daß das Venenblut in diesem südlichen Klima eine viel hellere Röthe als im nordischen zeige, und die Ergründung dieser Erscheinung führte zur Entdeckung des Gesetzes von der „Erhaltung der Kraft“.
Von seiner Reise zurückgekehrt, legte Mayer schon im Jahre 1842 die Grundgedanken seiner Anschauung in einem kurzen Aufsatz, „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“, in Liebigs „Annalen“ nieder. Dieser ersten folgte seine zweite, bedeutendste Arbeit: „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel“. Hatte Mayer schon seinen ersten Aufsatz nur mit Mühe untergebracht, so konnte er für Veröffentlichung des zweiten weder eine Zeitschrift noch einen Verleger finden, so daß er ihn auf eigene Kosten drucken lassen mußte. Eine 1846 an die Pariser Akademie gesandte Abhandlung „Ueber die Erzeugung von Licht und Wärme der Sonne“ blieb gleichfalls ohne Beachtung. Während aber die zünftige Wissenschaft die Arbeiten Mayers vollständig übersah, trat 1847 der Engländer Joule mit Versuchen über die Frage des Gleichwerths von Wärme und Arbeit auf, und Helmholtz erschien zu derselben Zeit mit einer Schrift „Ueber die Erhaltung der Kraft“. Vergeblich regte sich Mayer, um seinen zeitlichen Vorrang zu wahren; ja ein zu diesem Zwecke von ihm veröffentlichter Aufsatz hatte eine Zurechtweisung von seiten eines Tübinger Privatdocenten zur Folge, worin dieser den unzünftigen Forscher als einen unwissenden Dilettanten abkanzelte. Um aber das Maß voll zu machen, fand der Angegriffene nicht einmal eine Zeitschrift, die seine Vertheidigung aufgenommen hätte, und so verfiel der gequälte Mann, der zu dieser Zeit überdies zwei Kinder verloren hatte, einer Gehirnentzündung, während deren er sich in einem Fieberanfall aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock auf die Straße stürzte. Die Folge dieses Sturzes war eine Geisteskrankheit, von welcher er sich erst nach mehreren Jahren und nie vollständig erholte, wenn auch Perioden normalen Zustandes mit Anfällen gestörter Hirnthätigkeit abwechselten.
Nach so vielen Anfechtungen sollte aber Mayer doch endlich die Genugthuung der Anerkennung erleben. In Deutschland hoben Schönbein und Liebig die Neuheit und Bedeutung seiner Anschauungen hervor; von durchschlagendem Erfolg aber war die Hilfeleistung des berühmten englischen Physikers Tyndall, welcher in einem Vortrag, den er während der Londoner Ausstellung von 1862 vor den wissenschaftlichen Größen aller Länder hielt, die Verdienste des deutschen Forschers anerkannte und endgültig feststellte, daß Mayer derjenige sei, welcher das Gesetz der Krafterhaltung zuerst entdeckt und nachgewiesen habe.
Aber worin besteht das Wesen dieses Gesetzes und die Wichtigkeit seiner Entdeckung? Solches auch dem in derartigen Gebieten minder bewanderten Leser mit kurzen und einfachen Worten klar zu machen, ist keine leichte Aufgabe. Sich aber bei einer Gelegenheit, wo der Leser offenbar ein Recht auf Beantwortung dieser Frage hat, feig um dieselbe herumzudrücken, wäre auch nicht rühmlich. So wollen wir denn versuchen, eine Antwort zu geben, die auch für die Leser dieses Familienblattes, welche nicht Fachleute sind, in den Hauptzügen verständlich bleibt.
Wenn wir die Welt ihrem allgemeinen Wesen nach betrachten, so sehen wir, daß sie eine unendliche Anhäufung unendlicher Wirkungen ist.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_248.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)