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auditive Vorstellungen dar. Nur so begreift es sich, daß zuweilen Halluzinationen von gleichem Inhalt epidemisch vorkommen bei Menschen, die von demselben Vorstellungskreis präokkupiert waren und sich dabei in emotioneller Erregung befanden.“[1] So erklärt sich, daß auch die aszetischen Besucher des Einsiedlers am Berge Cholzim „verworrenes Getöse und Stimmen wie von einer ganzen Menge und Geklirr wie von Waffen hörten und den Berg bei Nacht voll wilder Tiere sahen“ (c. 51).

     Es tritt freilich auch zuweilen eine Inkongruenz zwischen dem Gegenstand der Halluzination und dem augenblicklich bewußten Vorstellungsinhalt hervor, z. B. wenn eine neu auftretende Vorstellung sogleich halluzinatorisch und nicht erst als bloße Vorstellung zum Bewußtsein kommt. Hinsichtlich derjenigen Art aber, die Antonius selbst so klar beschreibt (c. 42), nämlich hinsichtlich der assoziativ entstandenen Erinnerungsvorstellung, die zur Halluzination wird, stellt Krafft-Ebing fest, daß sie sich in den Gang des konkreten bewußten Vorstellens einfügt. „Sie braucht jedoch nicht in der originalen identischen Form aufzutreten, erscheint vielmehr häufig in veränderter phantastischer“ (S. 105). Antonius gibt dementsprechend seinen Eindruck mit den Worten wieder: „Was wir aus uns selbst denken, das schmücken sie weiter aus“ (machen sie mit Beiwerk, c. 42).

     Auch die Bedingungen für das Auftreten von Halluzinationen liegen im Leben des Aszeten ganz ausgeprägt vor. Sie lassen sich wesentlich dahin zusammenfassen, „daß sie eine intensive Erregung und Konzentration des Vorstellens bewirken. Funktionell geschieht dies durch affektartige Zustände (Affekte der Furcht, des Schrecks, der Begeisterung), sowie durch Steigerung der Aufmerksamkeit (Erwartungsaffekte, lebhafte Vertiefung in einen Gegenstand), Mangel äußerer Sinnesreize (Dunkelheit, Einsamkeit usw.)“.[2] Antonius, in der Dunkelheit seiner Behausung, in dem eintönigen Schweigen der Wüste, unter den historisch und psychologisch motivierten Zwangsgedanken der Dämonenfurcht ist augenscheinlich für Halluzination hervorragend disponiert. Dazu kommen dann noch „innerliche organische Reizvorgänge in sensorischen Rindenfeldern“[3]: Ernährungsstörungen durch strenge Fasten, Reizbarkeit der Gehirnzellen infolge Unterdrückung des Schlafes und geistiger Überanstrengung in der Konzentration. Es ist eine Tatsache, daß der körperlichen Erschöpfung häufig Halluzinationen folgen.

     Wir wenden uns nun den einzelnen Gebieten der Halluzinationen zu und beginnen mit denen des Gehörs. Antonius hört häufig Psalmengesang, Schriftrezitation, prophetische Stimmen, welche das Steigen des Nils oder die Ankunft von Reisenden voraussagen. Er vernimmt deutlich fromme Mahnungen und Vorwürfe, aber er sieht die Sprecher nicht. „Indes – so hat ihn die eigene Erfahrung gelehrt – man darf ihnen ein für allemal kein Gehör schenken“ (c. 25). Störring teilt einen ähnlichen Fall des „Gedankenlautwerdens“ mit, in welchem ein protestantischer Geistlicher von allen Richtungen Stimmen hörte, wenn er darauf achtgab. Es waren seine eigenen Gedanken, die er irrtümlich als von außen kommende Stimmen dachte.[4]


  1. Krafft-Ebing S. 105.
  2. Ebenda S. 102 f.
  3. Ebenda S. 103.
  4. Störring, Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung für die normale Psychologie, Leipzig 1900, S. 42 ff. (Beßmer S. 31 f.).
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_823.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)