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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

in der großen Stadt ohne Hülfe und Freund, auf der Straße von den Gassenbuben mit dem Zuruf: Dutchman! Dutchman! verhöhnt, glaubt sich der Arme in einem Lande herzloser Schurken und denkt mit Thränen an die verlassene Heimath zurück. Man muß diesem Elend begegnet sein, um daran zu glauben. Während der raffinirteste Luxus in der Stadt so weit getrieben wird, daß z. B. in dem Bureau einer Zeitung (Sun) eine große seidene, fächerartige, mit goldenen Buchstaben überdeckte Maschine angebracht ist, die dem Eintretenden in den heißen Monaten kühle Luft zufächelt, ist es keine Seltenheit, daß von unsern ankommenden Landsleuten, die gesund vom Schiffe kommen, einzelne vor Hunger und Mangel aller Art elendiglich umkommen.

Und noch bin ich nicht zu Ende mit meinem Unkengeschrei. Wenn ich wahr sein will, muß ich nothgedrungen noch manches düstere Gemälde vor Deinen Blicken aufrollen. Denn nur dadurch, daß ich auch die Kehrseite unsrer Zustände schildere, kann ich die thörichten, sanguinischen Hoffnungen, mit denen so Viele hierher kommen, etwas dämpfen. Daß trotz alledem Amerika das einzige Land der Zukunft ist, in dem noch Millionen meiner Landsleute eine schöne glückliche Existenz finden können – das hoffe ich Dir später ebenfalls zu beweisen.




Aus der Menschenheimath.

Briefe[1]
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Erster Brief.

Da ist sie nun wieder, die Zeit der Weihnacht und des Jahreswechsels. Da freut sich Alles, Alt und Jung – Groß und Klein, und alle Hände regen sich, alle Sinne mühen sich, wie wohl den lieben Angehörigen eine Freude zu machen wäre. Es mag herkommen, wo es will, zu einem Lichterbäumchen und ein Paar Aepfeln und Nüssen wird Rath geschafft; und die kleinen Kinderchen lernen ein Verschen auswendig, um den Alten eine Freude zu machen; die Größeren schreiben es auch wohl, und die Mädchen stricken dem alten Vater ein Paar warme Socken. Du lieber Himmel, wenn ich so an all’ das denke, so wird mir ganz weich um’s Herz, denn ich habe ja Niemand, Niemand, dem ich eine Vaterfreude machen könnte, Niemand, den ich als guten Sohn oder als herzliebes Töchterlein an’s Herz drücken könnte. Alles ist mir gestorben. Meine Frau hat mich verlassen, und mein Robert liegt bei den Düppeler Schanzen verscharrt. Du weißt ja, wo er liegt, denn er fiel an Deiner Seite.

Wenn ich Abends so ganz allein im Stübchen sitze – die alte treue Magd sitzt theilnahmlos am Spinnrocken, denn sie ist halb taub – und ich so vor mich hin sinne, und Alles um mich her bis auf das ewige Ticktack der alten Wanduhr mäuschenstill ist; so kann ich manchmal recht traurigen Herzens werden. Dann kommt mein alter Karo hinter dem Ofen hervor und legt seinen Kopf auf meinen Schoos und schaut mich mit seinen Augen so treuherzig an, als wollte er mich fragen um mein Herzeleid.

So war’s auch neulich Abend einmal. Ein Decembersturm rüttelte an den alten, morschen Fensterladen und den ganzen Tag hatte ich keine Seele gesehen; denn vor meinem abgelegenen Häuschen kommt bei schönem Wetter selten Jemand vorüber, geschweige denn bei argem Gestöber, wie es den ganzen Tag gehaust hatte. Ich war aber nicht eigentlich traurig, sondern vielmehr weich, sehnsuchtsvoll gestimmt, denn ich dachte an Dich und die frohen Tage, die ich vorigen Herbst bei Dir und Deiner braven Frau verlebt hatte. Ich erinnerte mich alles dessen, was wir gesprochen hatten. „Was mag er denn machen!“ dachte ich, „könntest Du doch die Weihnachts- und Neujahrszeit bei ihm und seinen muntern Buben zubringen!“ So gab ein Gedanke den andern. Zuletzt war ich bis zu dem Gedanken gekommen, den Du jetzt schwarz auf weiß in Händen hast. Ich dachte, wenn auch die alten Beine und der leichte Geldbeutel den weiten Weg bis in Dein Haus unmöglich machten, so konnte ich ja doch brieflich bei Dir sein. Da bin ich nun. Siehst Du mich nicht zwischen den Zeilen stehen, wie ich Dir lächelnd die Hand zum Gruße reiche?

Wie das Alles so in meinen grauen Kopf gekommen ist – fragst Du? Du weißt ja, daß ich leider weiter nichts zu thun habe, als was ich mir auf eigne Hand zu schaffen mache. Du weißt auch, daß ich selbst immer etwas Neues aus guten Büchern lerne und daher auch Andern davon mittheilen kann. Meine Liebhaberei zu den Büchern habe ich immer noch und mancher hochgelehrte Herr Professor würde sich wundern, in dem armseligen Stübchen eines Schulmeister emer. einen vollen Bücherschrank zu finden. Wird auch nebst meinem alten Lehnstuhl und meinen Bienenkörben meine einzige Verlassenschaft sein! Du lieber Himmel, für wen? Doch

  1. Wie Mancher schreibt Briefe an einen seiner Freunde und ahnet nicht, daß später sein Freund oder dessen Hinterlassene die gesammelten Briefe zu aller Welt Nutz und Frommen drucken lassen. Nicht Alles, was für den Druck geschrieben wird, ist werth, daß man es druckt; aber Vieles, was blos für eines einzelnen Freundes Kopf und Herz bestimmt war, verdient durch den Druck Vielen zugänglich gemacht zu werden. Die Red. hat gemeint, daß auch diejenigen Briefe dies verdienen, welche ein alter hochverdienter Schulmann an seinen ehemaligen Schüler geschrieben hat. Die Bilderchen, die den Briefen beiliegen, sollen immer in sauberen Holzschnitten ausgeführt und den gedruckten Briefen beigefügt werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_007.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2019)