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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

dir die Pferde, die man bewundert? Saß ich an einem reich besetzten Tische, so flüsterte dieselbe Stimme: gestohlene Speisen, gestohlener Wein! Während du schwelgst, hungern gewisse Leute und verwünschen deinen Vater im Grabe! Onkel, ich schämte mich vor mir selbst! Da eilte ich zu meiner Frau, und gestand ihr, was in mir vor ging. „„Komm arm zu mir,““ rief sie aus, „„aber mit einem unbefleckten Gewissen!““ An diesem Tage genoß ich Freuden des Herzens, die Millionen aufwogen. Ich suchte und fand die Familie Bornstedt, und gab ihr die aus dem Verkaufe gelöste Summe sammt Zinsen zurück.“

Der Major hatte erstaunt zugehört.

„Und Deine Frau selbst besitzt kein Vermögen?“ fragte er.

Philipp gab nun Aufschlüsse über Josephine’s Vermögensumstände, wie sie der Leser bereit kennt.

„Darum treffen Sie mich in dieser ärmlichen Lage. Ich lebe von dem, was ich verdiene, und verliert meine Frau ihr Vermögen, so habe ich mir eine Subsistenz gegründet, die uns Beiden genügt. Sie sehen, ich rechne nicht darauf, Ihr Erbe zu werden; und wenn ich Sie bat, mich zu besuchen, so wollte ich nur die Achtung für meine Frau wiedergewinnen, die Sie ihr bisher versagt haben.“

Der Major schüttelte sein Haupt, indem er einen Augenblick zu Boden sah.

„Philipp,“ sagte er, „liegt Deiner Frau wirklich an meiner Achtung? Ich erinnere mich, daß ich in harten Ausdrücken über sie geschrieben habe.“

„O, mein Onkel, sie hat selbst zu einem Mittel ihre Zuflucht genommen, das Ihr Urtheil völlig feststellen muß.“

„Gut, ich will sie sehen, führe mich zu ihr!“

Philipp begann sich anzukleiden.

„Die Redlichkeit trägt Zinsen, sagte meine Mutter oft. Ich fühle es, Onkel, denn ich bin ein glücklicher Mensch. Und giebt es ein Paradies, so muß auch mein Vater jetzt glücklich sein, denn ihn segnen die Freudenthränen einer armen Familie.“

„Er hat das Gemüth seiner Mutter!“ flüsterte der gerührte Major. „Und wäre meine Braut nicht so reizend, wer wüßte, was ich thäte. Philipp,“ rief er laut aus, „mag es in meinem Alter immerhin eine Thorheit sein – aber ich verheirathe mich. Ich habe einmal mein Wort gegeben, und das muß ich halten.“

In diesem Augenblicke ließen sich Schritte und ein leises Klopfen an der Thür vernehmen. Gleich darauf trat Josephine ein. Das liebliche Köpfchen schmückte ein leichter, einfacher Strohhut. Den Shawl trug sie über dem Arme. Der Major glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er seine Braut erblickte.

„Madame Lindsor!“ rief er aus.

„Meine Frau!“ sagte Philipp, indem er sie ihm vorstellte.

„Unmöglich! Sie ist ja meine – –“

„Ihre Verwandte, Herr Major von Wildau,“ sagte Josephine mit einer reizenden Verbeugung, „die sich glücklich schätzt, Ihre Achtung, selbst Ihre Liebe zu besitzen. Nehmen Sie Ihr Urtheil über mich nicht zurück, ich würde auch sonst meine Meinung von Ihnen ändern müssen. Ihren Ring behalte ich, er soll mich erinnern, wie hoch ich in der Gunst dessen stehe, der mich einst zu meinem Schmerze nicht anerkennen wollte.“

„Madame,“ murmelte zornig der Alte, „Sie haben ein arges Spiel mit mir getrieben, so daß ich versucht bin, es für eine Komödie zu halten, die einen eigennützigen Zweck hatte. Philipp, Deine bedrängte Lage hat Dich zu Schritten verleitet –“

„Genug, Herr Major!“ sagte Josephine ernst, „Philipp’s Lage ist die beste von der Welt. Sie sind ja unser Onkel,“ fügte sie lächelnd hinzu, „und deshalb darf ich ihn wohl in Ihrer Gegenwart bitten, mein Vermögen mit mir zu theilen. Es trieb mich her, ihm zu sagen, daß mir vor einer Stunde der russische Gesandte ein Aktenstück zugesendet hat, das den im Beisein des österreichischen und preußischen Internuntius ausgesprochen letzten Willen meines verstorbenen Mannes enthält. Er hat mich ohne irgend einen Zusatz zu seiner Universalerbin erklärt. Du hast Dein Vermögen großmüthig hingegeben, um die Ehre Deines Vaters – und Ihres Schwagers, Herr Major – zu retten – nimm jetzt das meine, Philipp, ich bringe es Dir zur Morgengabe. Herr Major,“ fügte sie im Tone leisen Vorwurfs hinzu, „mein Mann besitzt Schätze, die nur Gott allein vergrößern kann!“

Dann warf sie sich weinend an seine Brust.

„Kinder,“ rief bewegt der Alte, „was macht Ihr denn aus mir? Wollt Ihr mir denn die Thorheit recht klar vor Augen legen, daß ich auf den Gedanken gekommen bin –“

Josephine schloß ihm den Mund mit einem Kusse.

„Onkel,“ flüsterte sie mit feuchten Augen, „bei der Offenheit, die wir uns gegenseitig gelobt haben: bekennen Sie, daß Sie mir Dank schuldig sind! Sie besitzen alle Eigenschaften eines vortrefflichen Menschen; aber wenn Sie sich den Chancen der Ehe mit einer jungen Frau ausgesetzt hätten –“

„So wäre ich ein Narr gewesen!“

„Verzeihung, ich bitte um Ihr Urtheil über mich!“ fiel sie rasch ein.

„Sie sind eine Syrene; aber auch ein Engel, die einen Mann verdient wie Philipp, und einen Onkel, wie ich zu sein mir jetzt vornehme.“

Die drei glücklichen Menschen fuhren in einem herbeigeholten Wagen nach Josephine’s Wohnung, wo der Major, der Schwarz auf Weiß liebte, die eingegangenen Papiere prüfte. Er fand Alles in Ordnung. Am Abend erschienen auf ergangene Einladung Herr von Bornstedt, Anna und der brave Magister. Kurz vor Tische führte Josephine den blonden jungen Mann ein; sie stellte ihn den Gästen als ihren Bruder vor.

„Wieder ein Geheimniß,“ flüsterte ihr Philipp zu.

„Das ist die Rache für den verheimlichten Onkel!“ flüsterte sie zurück.

„War ich es Dir nicht schuldig?“

„Wie ich es Anna schuldig war, die ihn schon lange liebt. Sie lernten sich in Breslau kennen, wo mein Bruder studirte. Er ist ihr nach Leipzig gefolgt und nahm Schreiberdienste bei einem Advokaten. Anna nannte ihm die Käuferin ihres Kleides, und er fand seine Schwester.“

Bei Tische kündigte Herr von Bornstedt die Verlobung seiner Tochter an, und der Major brachte den ersten Toast auf das Wohl des jungen Paars. Es war spät, als die Gesellschaft sich trennte. Als die beiden Gatten allein waren, sagte Josephine:

„Nun, Philipp, will ich Dir noch eine Entdeckung machen, die für Dich von Interesse ist. Erinnerst Du Dich der ersten Gesellschaft, die nicht zu Stande kam?“

„Ja!“ antwortete er ein wenig verlegen, denn er schämte sich seines damals gehegten Verdachtes.

„Ich hatte darauf gerechnet, daß man mir absagen würde – an jenem Abende tanzte Pepita de Oliva im Theater. Der Enthusiasmus für die Fußkünstlerin hat mir einige lästige Stunden erspart. Giebt es noch einen Schleier zu lüften?“

„Den, der auf unserer Verbindung ruht!“

„Es steht bei Dir, ihn wegzunehmen, denn von diesem Augenblicke an bist Du der souveräne Mann!“




Einige Tage später bezog der alte Bornstedt die Wohnung Josephine’s. Madame Lindsor war verschwunden; die jungen Gatten hatten den Major auf sein Gut begleitet. Mancherlei Gerüchte über die reizende Wittwe tauchten nun auf, aber keins brachte Kunde von dem Glücke der jungen Leute, die am Weihnachtsabende

desselben Jahres mit einem Sohne beschenkt wurden, den der Major aus der Taufe hob. Magister Elias vollendete seine Novelle und lieferte sie dem Verleger der Gartenlaube ab; er erhielt zwar das doppelte Honorar, aber Philipp, der mit der Redaction in Correspondence stand, übergab sie einem Freunde zur Umarbeitung, und nachdem er sie geprüft, ward sie in vorstehender Gestalt zum Drucke befördert. Der gute Magister hat versprochen, es nicht übel zu nehmen, wenn er nur als eine handelnde Person, und nicht als der Verfasser des Werkchens bezeichnet wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_461.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)