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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Die fürstlichen Mittel werden in einigen Tagen wieder vollständig sein. Glauben Sie mir, Herr Präsident, ich kann noch für dreitausend Thaler einstehen, obgleich ich kein bemittelter Mann bin.“

„Soviel ich weiß, haben Sie zweitausend Thaler Kaution bei Ihrer Einsetzung als Sportelkassirer gestellt.“

„Ganz recht; drei Jahre später ward ich Rendant, und trotzdem ich eine weit größere Kasse zu verwalten hatte, begnügte man sich dennoch mit dieser kleinen Kaution, meiner Ehrlichkeit trauend, die in diesem Augenblicke ein wenig in’s Gedränge gerathen ist. Ich befinde mich in einem ähnlichen Falle wie vor vier Jahren. Man hatte mich nämlich zum Vormunde eines elternlosen Mädchens bestellt, das ich nicht kannte. Meine Mündel lebte in Frankfurt a. M., wo ihre Mutter gestorben war. Ihr Vermögen von fünfundsechzigtausend Thalern stand in K., dem Geburtsorte der Mutter, bei dem Pupillengerichte, wo es der erste Vormund, der gestorben war, deponirt hatte. Ich hielt es für ersprießlicher, das Vermögen meiner Mündel in hiesiger Residenz unterzubringen, und reklamirte das Kapital in K. Ach, Herr Präsident, was für eine traurige Erfahrung mußte ich da machen! Meine Reklamation fiel gerade in die Zeit der unglücklichen Revolution, in welcher der gesetzliche Gang der Dinge vollständig unterbrochen war. Ich mußte selbst nach K. reisen. Man wies mich von Pontius zu Pilatus. Endlich erfuhr ich, daß das Geld bereits an mich abgegangen sei. Ich reise hierher zurück. Die Post wußte nichts von einer Geldsendung an mich. Nun gab ich einem Freunde in K. Vollmacht, die Sache zu betreiben. Nach einem längeren Briefwechsel trat ich wiederum eine Reise an. In K. zeigte mir das Gericht die Quittung meines Freundes, eines braven Advokaten; aber mein Freund lag auf dem Sterbebette, und als ich ihn befragen wollte, verschied er. An die Erben, die nichts besaßen, konnte ich mich nicht halten, und ich mußte mit leeren Taschen nach Hause reisen.“

Der Präsident hatte lächelnd zugehört.

„Zu welchem Zwecke erzählen Sie mir diese Unglücksgeschichte?“ fragte er.

Der Rendant trocknete den Schweiß von der Stirn, indem er antwortete:

„Ich bin sogleich zu Ende, mein lieber Herr. Der heillose Betrug machte Aufsehen. Wer hätte das wohl dem ehrlichen Clemens zugetraut? Seine Wittwe lebte kümmerlich von einer kleinen Pension – wohin hatte der Verstorbene die große Summe gebracht? Das war allen Leuten ein Räthsel. Man verdächtigte den armen Mann noch im Grabe und nahm seiner Wittwe die kleine Pension. Mein Herr,“ sagte der Rendant mit starker Stimme, „heute ist das Räthsel gelöst: Clemens hat das Geld einem Freunde geliehen, der es nur vierzehn Tage behalten wollte, um ein Familiengut zurückzukaufen. Aber nach acht Tagen schon starb der gute Mann, der Tod überraschte ihn, wie mich die Kassenrevision. Und was that der Freund? Er schwieg und behielt das Geld. Clemens nahm den Verdacht einer schändlichen Spitzbüberei mit sich in das Grab. Noch mehr: seine Tochter[WS 1], arm und verlassen, verheirathet sich; ihr Mann kommt um viertausend Thaler in Verlegenheit – ich leihe sie ihm aus meiner Kasse – da setzt derselbe Freund, der in der Zeit Präsident geworden, eine Kassenrevision an – –“

„Herr Rendant!“ rief Seldorf auffahrend.

„Nicht wahr, das ist eine wunderliche Geschichte?“ rief der alte Mann, am ganzen Körper zitternd. „Nichtsdestoweniger aber ist sie wahr, und ich kann die Wahrheit beweisen!“

Der Präsident zuckte leicht zusammen.

„Sie?“ fragte er, einen stechenden Blick auf Ernesti werfend.

„Und wodurch?“

„Durch einen Brief, in dem geschrieben steht: beruhige Dich, mein lieber Clemens, Deine fünfundsechzigtausend Thaler Mündelgelder, die Du mir geliehen hast, sind in meinen Händen eben so sicher, als in den Deinigen; mein Gut Seldorf mag Dir als Unterpfand dienen. Wollen Sie noch mehr wissen, Herr Präsident?“

„Genug!“

„Gut, so revidiren Sie meine Kasse, und denunciren sie mich als einen Dieb.“

Ernesti sank erschöpft auf einen Stuhl.

„Sie alter, wunderlicher Mann,“ begann nach einer Pause der Präsident, „wie kommen Sie auf den Gedanken, daß ich Ihre Ehrlichkeit in Zweifel ziehe?“

„Ihr Brief macht mich ehrlich, nicht wahr, Herr Präsident?“

„Wir müssen uns verständigen; die Sache ist sehr unbedeutend.“

„Verständigen Sie sich mit unserem Fürsten, denn jene Mündelgelder gehören seiner Tochter, die jetzt unter dem Namen Fräulein von Hoym in unserer Residenz lebt.“

Der Präsident erblaßte.

„Herr Rendant,“ sagte er stammelnd. „Sie sprechen Beschuldigungen gegen mich aus, die mich zu ernsten Schritten veranlassen. Der Brief, von dem Sie sprechen, ist falsch!“

„Der Fürst wird darüber entscheiden!“

„Wo ist das Papier?“

„In den Händen des Fräuleins von Hoym. Lassen Sie mich, lassen Sie mich!“ rief Ernesti. „Hier will ich gern ein Dieb sein, wenn ich nur dadurch die Ehre meines verstorbenen Freundes rette.“

„Wohlan, so wird das Criminalgericht mit Ihnen reden!“

Der Präsident verließ rasch das Kassenzimmer. Ernesti schloß seine Bücher und seine Kasse, und eilte zu Fräulein von Hoym, der er alle Vorgänge mittheilte. Der Tag verfloß, ohne daß der Präsident etwas unternahm. Denselben Abend saßen Henriette und Cäcilie plaudernd beisammen. Da trat der Fürst ein, der wegen des schlechten Jagdwetters zeitiger zurückgekehrt war.

„Mein Vater!“ rief Cäcilie, und warf sich dem Ankommenden in die Arme.

Der Landesherr ließ sich erzählen, was in seiner Abwesenheit geschehen, Cäcilie legte den Brief Seldorf’s vor, und Henriette ermangelte nicht, die nöthige Aufklärung zu geben. Ernst und nachdenkend verließ er das Haus seiner Tochter, die ihm vor zwanzig Jahren ein geliebtes Wesen geboren hatte. Am nächsten Morgen ließ er den Präsidenten zu sich bescheiden. Der Bote kam mit der Nachricht zurück, daß Herr von Seldorf in der Nacht verreist sei. Um Mittag legte man Beschlag auf die Papiere des Verreisten, der nie wieder in die Residenz zurückkehrte. Zwei Tage später übergab Cäcilie der Freundin eine Summe von viertausend Thalern.

„Mein Vater,“ sagte sie, „bezahlt den Brief Seldorf’s damit, durch den mir ohne Zweifel das Vermögen meiner Mutter erhalten wird.“

Henriette flog zu dem Rendanten. Als sie in das Zimmer trat, traf sie Lydia Spanier und Moritz, den zweiten Sohn Ernesti’s, an. Die junge Frau, entzückt über die glückliche Lösung der Wirren, schloß die schöne Jüdin in die Arme.

„Sie ist der Engel gewesen, der uns vor der drohenden Gefahr warnte!“ rief sie aus. „Wie kann ich Ihnen danken, meine liebe Freundin?“

„Dadurch,“ sagte lächelnd der Rendant, „daß Sie uns nächsten Sonntag nach dem Dorfe M. begleiten, in dessen Kirche Fräulein Lydia zum Christenthume übertritt, um sich mit dem fürstlichen Oberförster Moritz Ernesti trauen lassen zu können. Die gute Lydia war um die Ehre ihres künftigen Schwiegervaters besorgt, und deshalb benachrichtigte sie Sie von der mir drohenden Gefahr –“

„Und übergab mir tausend Thaler!“ fügte Henriette rasch hinzu.

„Ich würde mehr gegeben haben, wenn ich mehr gehabt hätte!“ flüsterte Lydia erröthend.

„Ich nehme den guten Willen für die That, mein liebes Kind!“ rief gerührt der Greis.

Am nächsten Sonntage ward Lydia die Gattin Moritz Ernesti’s. Der alte Spanier hatte ohne Widerstreben eingewilligt, da er mehr Geldmann als Jude war, und ihm seiner Tochter Heirath als ein rentables Geschäft erschien. Mehr als einmal hatte er zu Lydia gesagt: „ich werde Christ, wenn man mir den Titel Kommissionsrath gibt.“ Diese Hoffnung wird wahrscheinlich in Erfüllung gehen, da sich annehmen läßt, daß Lydia ihres Vaters Gesuch bei dem Fürsten unterstützt.


Fünf Monate noch war die Residenz über Cäcilie von Hoym im Unklaren, und allgemein schrieb man den plötzlichen Abgang des Präsidenten ihrem Einflusse zu, denn man erzählte sich, daß Seldorf ihre Hand ausgeschlagen, die ihm der Fürst zugedacht habe; den wahren Grund hat man aus Rücksicht für Ernesti und Bergt verschwiegen. Da war eines Tags Cäcilie von Hoym verschwunden, und zum allgemeinen Erstaunen bezog der Sekretair

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Frau
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_115.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2019)