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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Zeitschrift, enthält und sich in diesem 30jährigen Zeitraume trotz aller ungünstigen Verhältnisse und aller Verbote in gleicher Achtung bei allen strebenden Lehrern erhalten hat. Schon im Jahre 1846 zählte man 42 selbstständige Werke von Diesterweg, 260 Aufsätze in den Rheinischen Blättern, ungerechnet die in andern Zeitschriften und die zahllosen Recensionen über alle Zweige des Unterrichts, der äußern und innern Angelegenheiten der Schule. Es würde den Zweck dieser Blätter weit überschreiten, wollte man hier specieller in Diesterweg’s literarische Thätigkeit eingehen, und eine nähere Aufzählung seiner Arbeiten vornehmen; anderntheils können wir uns aber auch zum Verständniß des Wirkens dieses großen Mannes nicht versagen, bei den Hauptseiten seiner literarischen Thätigkeit ein wenig zu verweilen und den Leser einige Blicke in seine Werkstatt thun lassen. Es sind ja Blicke in das Gebiet der Erziehung und des Unterrichts, ein Gebiet, für welches sich fast in jedem Hause, jeder Familie Material in der Kinderwelt vorfindet, und das dem denkenden, gewissenhaften Vater, der sorgenden Mutter schon manche Stunde Ueberlegung gekostet hat, sei es bei Beurtheilung der Schule und des daselbst üblichen Unterrichts, sei es bei den Vorfällen und Erfahrungen innerhalb[WS 1] des Kinderkreises selbst.

Im Jahre 1833 schrieb Diesterweg die erste Abhandlung seiner Lebensfragen der Civilisation. Nur Weniges möge daraus hier eine Stelle finden. Es betrifft die Nothwendigkeit der Erziehung der untern Classen. „Der Anblick derselben, besonders in den großen Städten, überzeugt uns von ihrer ästhetischen, nähere Bekanntschaft mit ihnen von ihrer intellectuellen und moralischen Rohheit, also von ihrer Rohheit überhaupt. Sie werden von Leidenschaften regiert. Diese Leidenschaften sind immer vorhanden, nur nicht immer in dem Zustande der Erregung. Aber sie sind da; es bedarf nur eine Gelegenheitsursache, und sie zeigen sich in ihrer rohen, zerstörenden Natur. Sie gleichen aufgehäuftem Brennstoffe, den jeder Funke zur zerstörenden Flamme entzünden kann. Der schlafende Tiger kann durch Ereignisse, die gar nicht in unserer Macht liegen, geweckt und gereizt werden, und ein in Madrid, Paris, London oder Wien zündender Blitz kann den sichern Bestand aller Dinge unter uns in Frage stellen. Der ungeschlachte Haufen ist der innere Feind des Staates. Wir müssen eine Radicalcur des Uebels versuchen – durch Erziehung und durch die Umänderung der äußeren Lage. Ohne die genügende Lösung jener dringenden Aufgabe erblicke ich die schlimmsten Folgen für alles Bestehende, für Gesetz und Recht, Leben und Eigenthum. Ich schaue in den Abgrund einer vielleicht über unsere Fluren sich ergießenden Revolution. Dürfen wir uns dem Wahne überlassen, daß die starken Bewegungen und Erregungen durch Befehle, Ordonnanzen, Beschlüssen u. s. w. entfernt oder unterdrückt, oder in regelrechte Bahnen gelenkt werden? Lasset noch ein oder drei Jahrfünf also verstreichen, und ihr könnt das mögliche Endresultat errathen. Man handle, ehe es zu spät dazu werden könnte.“

Diesterweg sprach als Menschenfreund, als Seher, drei Jahrfünf vor 1848. Heute denkt, spricht, fühlt jeder Denkende so, jede Staatsregierung läßt sich von ähnlichen Betrachtungen leiten, Diesterweg ward es 1833 verargt, man witterte einen Demagogen in ihm, der an der Vortrefflichkeit unserer gesellschaftlichen Zustände zu zweifeln wagte. Seine Vorschläge zur Hebung des Uebels waren Erziehung und Organisation der Massen. – Die Schrift „Ueber das Verderben auf den deutschen Universitäten“ erschien im Jahre 1836, enthielt des Wahren und Beachtenswerthen unendlich viel, zeigte, wie diese obersten Bildungsanstalten in eine falsche Wissenschaftlichkeit hineinführen, während sie das verweigern, was der praktische Lebensberuf von Jedem fordert, der nur Erträgliches leisten will. Eine Menge Gegenschriften erschienen, Diesterweg ward nicht widerlegt. Fünfzehn Jahre später spricht er von dieser Schrift: „In dem Frankfurter Parlamente saß die Elite der Nation beisammen, saßen die berühmtesten Geschichtsforscher. Sie wußten alle Geschichten der Welt; aber hatten sie aus der Geschichte etwas gelernt? Die Unreife unserer Nation, der höhern wie der niedern Stände, die Tollheiten derselben wie ihre Energielosigkeit, besonders aber der furchtbare Mangel an Sinn für Gesetzlichkeit, womit die Leichtigkeit, der Nation die erworbenen Rechte wieder zu entreißen, verbunden ist, sind Folgen, nothwendige Folgen der verkehrten und aller Strenge entbehrenden Erziehungs- und Bildungsweise auf den Hochschulen und in den höhern Schulen.“

Dies Einiges aus der literarischen Thätigkeit unsers Diesterweg. Wir haben ihn meist selbst sprechen lassen, um zu zeigen, wie er zu den Fragen des Tages und der Gesellschaft steht, und auf welcher Seite das Recht war, als man ihn darob anfeindete. Doch wir wenden uns seinen pädagogischen Schriften zu, je nachdem sie das Aeußere oder Innere der Schule betreffen.

(Schluß folgt.)




Der edle Wein.
Von Dr. H. Hirzel.
IV. Nachtrag: Die Instrumente zur Weinveredelung und einige praktische Mittheilungen.[1]

Die früher mitgetheilten Lehren der Weinveredlung werden den Wein wieder zu einem Volksgetränk erheben, an welchem sich nicht allein die Wohlhabenden, sondern auch die Aermeren erquicken können. Sobald sie erst überall angenommen sind, was gewiß in wenigen Jahren geschehen wird, so kann auch Deutschland, anstatt seiner vielen fast ungenießbaren und daher unverkäuflichen Weine, alljährlich ein bedeutendes Quantum von guten Mittelweinen produciren. Die jetzigen hohen Weinpreise werden sich nur auf den feinsten Bouquetweinen erhalten. Die Mittelweine werden billiger und sind doch wohlschmeckend, feurig und gesund. Die Weinhändler befürchten zwar, daß dann mehr Wein producirt, als consumirt werde und scheinen von diesem Gespenst, welches Gall auf das Bestimmteste widerlegt hat, sehr geängstigt zu werden; oder suchen wenigstens andere damit zu erschrecken. Allein der Vortheil der Weinveredlung erstreckt sich nach allen Richtungen hin. Die Winzer brauchen nach harter Arbeit nicht mehr zu darben, sondern erhalten jährlich ihren wohlverdienten Lohn; die ehrlichen Weinhändler, die sich nicht auf Kosten unglücklicher Menschen bereichern, also keine Wucherer sind, haben nach wie vor ihren reichen Gewinn und können ihre veredelten Weine besser und schneller verkaufen. Und die Weinconsumenten erhalten einen guten mundenden Wein für ihr Geld.

Es wird, wie wir glauben, vielen Lesern der Gartenlaube wohl nicht ganz uninteressant sein, hier in einem kurzen Nachtrage, die Instrumente kennen zu lernen, welche zur Weinveredlung nöthig sind und dazu dienen, um den Most durch Wasser und Zuckerzusatz in richtiger Weise zu verbessern, sowie auch um in schon abgelagerten, noch jungen oder selbst alten Weinen den Weingeistgehalt zu bestimmen; um dieselben, im Falle sie geringe Weine sind, durch Einleitung einer neuen Gährung mit Wasser, Zucker und Hefe zu veredeln.

Der Säuremesser

dient dazu, um im Moste oder Weine die vorhandene Menge der Säuren zu bestimmen, welche im freien Zustande oder in solcher Weise in diesen Flüssigkeiten vorkommen, daß sie sich durch ihren sauren Geschmack zu erkennen geben. Der zweckmäßigste Säuremesser ist von dem ausgezeichneten Mechanikus Geißler eingerichtet worden. Derselbe besteht aus drei Stücken, einem Mischfläschchen, einer Pipette und einer Bürette; außerdem gebraucht man zur Säurebestimmung: gut bereitete Lackmustinktur (durch Auflösen von 1 Loth Lackmus in 16 Loth säurefreiem Weingeist darzustellen) und Ammoniakflüssigkeit, sogenannten Salmiakgeist, dessen specifisches Gewicht genau gleich 0,9592 ist; oder der in je 1000 Theilen aus 137 Thln. wirklichem Ammoniak und 863 Thln. Wasser besteht. Bei dem Versuche selbst müssen alle Flüssigkeiten die Temperatur von 14° R. besitzen. Man füllt nun zuerst die an beiden Enden offene Pipette bis zum Teilstriche A mit der Lackmustinktur, läßt diese dann in das Mischfläschchen ablaufen; füllt nun die Pipette bis zum Theilstriche B mit dem

  1. Die früheren Artikel s. Jahrg. 1856. Nr. 24. 33. 39.

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_139.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)