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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)


Gall, Dr. L., Ausführliche Nachrichten über mein Weinbereitungs- und Weinveredelungsverfahren. (Verlag von F. A. Gall in Trier.)


Traubenzucker-Fabriken.

Man kann allerdings zur Weinveredelung gewöhnlichen, gut raffinirten Zucker anwenden; da jedoch der Traubenzucker billiger herzustellen ist, und sich solcher in dem Traubensafte findet, so ist es jedenfalls zweckmäßiger, solchen anzuwenden. Man muß sich aber von der Reinheit desselben überzeugen; denn wenn er zu unrein ist, so kann der Wein leicht einen schlechten Geschmack davon bekommen. Ein ungünstiges Resultat ist dann nicht auf die Methode, sondern auf den Zucker zu schieben. Bis jetzt bereiten ihn folgende Fabriken:

Herr A. F. Bertog zu Wolmirstädt an der Ohre (Comptoir in Magdeburg). – Lohburger-Fabrik in Magdeburg. – Friedrich Wahl in Neuwied. – Remy und Espenschiet in Neuwied. – Gebrüder Best in Osthofen bei Worms. – Dr. E. W. Philippi in Jungenheim. – Deisz und Comp. zu Offstein bei Worms. – Fritz Muth zu Neumühle bei Westhofen. – R. Hoffmann zu Jungenheim.

Alle Apparate und Substanzen zur Ermittelung des Saure-, Zucker- und Weingeistgehaltes können am zuverlässigsten aus der chemischen Fabrik von Dr. Marquart in Bonn bezogen werden.




Die Feueresser in Algier.

„Warum murrt ihr? Gläubet und Ihr werdet haben, was ihr begehrt. Esset Steine, Insecten, sogar Feuer, und wenn ihr gläubet, werden diese Insecten, diese Steine, dieses Feuer zu Nahrung werden für euren Hunger.“

Diese Worte soll, nach dem Koran, einst Jesus zu seinen Jüngern gesprochen haben, als sie in der Wüste über Hunger und nichts zu essen klagten. Auf Grund dieses verlangten starken Glaubens bildete sich eine muhamedanische Secte, die noch heutzutage besteht und noch bis heute jährlich mehrmals festlich und feierlich Feuer ißt. Diese Feueresser nennen sich Beni Aissa (Söhne Jesu) und das Fest des Feueressens Hdrh, gesprochen Adra. Marcolte de Luiviers erwähnt das Fest in seinem Reisewerke: „Deux ans en Afrique“ (Zwei Jahre in Afrika) Seite 43, und Dr. Bodichon, Arzt in Algier, sucht die Art, wie sie es machen, um sich beim Genusse dieses seltsamen Nahrungsmittel nicht den Mund zu verbrennen, physisch zu erklären. Uns liegt die Schilderung eines solchen Festschmaußes von einem Augenzeugen, dem Engländer Bessie R. Parkes[WS 1], vor, die wir hier im Wesentlichen wiedergeben.

„An einem wässerigen und windigen Abende machten wir uns auf, um die berühmte Ceremonie des Feueressens und des Genusses ähnlicher Delikatessen von dem Stamme Ben Aissa in Algier mit anzusehen. Wir begaben uns in den Schutz eines arabischen Protectors, der kühn und knochig genug aussah, uns sicher durch die nicht geheuere Vorstadt zu führen. Nach mühsamen Wirren und Wallen durch die endlosen Zickzacks unseres Weges vor den Mauern draußen hinauf zu dem Casbah, dem alten Schlosse der Dey’s von Algier (jetzt ein Gebäudelabyrinth von Kasernen und Waffenniederlagen) kamen wir in die Vorstadt, den Hauptsitz der Beni Aissa. Ali Ben Ali, unser schöner Berber, der Malern als Modell sitzt, hatte versprochen, uns am Porte neuve (neuen Thore) zu treffen und uns in den Festsaal der Feueresser einzuführen. So graspten wir uns mühsam weiter, an dem schauerlichen Casbah vorbei, in welchem der letzte Dey Hussein sich fünfzehn Jahre lang verborgen gehalten hatte, ohne seinen Kopf jemals zu einem Fenster herauszustecken, aus Furcht, seine Janitscharen möchten ihm diesen Kopf absäbeln, der schweigenden, schwarzen Erinnerung an viele schwarze Thaten, die im regnigten Nachtwinde um uns her gespenstisch zu toben schienen, über und durch kleine Ströme und Schmutzpfützen, die der Regen immer höher schwoll, nach dem neuen Thore, das mindestens 300 Jahre alt aussah und fähig erschien, in seinen Recessen und Winkeln jede beliebige Zahl von Piraten zu verbergen. Wir stellten uns dessenungeachtet unter den Schutz dieser Mauern und riefen mit immer steigender Kraftanstrengung: Ali Ben Ali! aber vergebens. So gingen wir endlich weiter in die Straße hinein. „Straße“ in der alten Dey-Hauptstadt heißt eine steile, enge, vielfach gekrümmte, steigende und fallende Passage, oft in Stufen ab-, oft aufwärts abbrechend, unter vorspringenden obern Häuseretagen hindunkelnd und tunnelartig in die weißen Mauern hineinkriechend. In diesem heulenden, Regen peitschenden Winde mit den an Ketten schwingenden und knirschenden Straßenlampen oben, die alle hundert Schritt einmal aber nur düster sehen lassen, wie schrecklich finster und unheimlich es ringsum auszieht und wie schauerlich die Höhlungen von Bogen und Winkeln hereinstieren, und die weißen Häuser geisterhaft tanzen zu lassen scheinen, war unsere Entdeckungspromenade durch eine solche Straße wirklich ein gutes Stück Heldenthum. Vergebens schrieen wir Ali Ben Ali! in die heulende Nacht hinein. Nur einmal erschien oben über uns eine Französin mit einem Lichte an einer hoch gelegenen Hausthür. Sie wußte natürlich nichts von unserm Ali Ben Ali, auch nicht, wo das Hdrh-Fest gefeiert wurde; doch versicherte sie uns, daß hier überall herum Araber wohnten. Das war wenig, aber doch ein guter Trost für uns: Wir hatten doch ein menschliches Wesen gehört und in diesem unheimlichen Nachtsturme eine menschliche Stimme vernommen.

Wir wanderten und wanden uns weiter in engen Straßenlabyrinthen, bis wir eine weiße, wallende Gestalt aus einem dunkeln Tunnel heraufschimmern sahen, „Adra? Adra?“ frugen wir ihm zu. „Oui! Oui!“ erwiederte das weiße Gespenst und winkte uns freundlich, ihm zu folgen. Er führte uns durch neue Labyrinthe, halsbrechende Treppen auf und ab, durch neue Tunnels und endlich durch einen niedrigen Thorbogen in das Innere eines ausgehauenen, soliden Felsens. Die Häuser der Araber sahen alle so aus von der Straße. Bloße Mauern mit einem niedrigen Eingangsbogen, ohne Fenster, blos hier und da mit ganz kleinen Luftlöchern. Die Fenster vertretenden größeren Oeffnungen sehen alle nach dem Hofe hinein. Durch das dunkele Haus wurden wir in den Tempel geführt, einen ummauerten Hof mit dem dunkeln Himmel als Decke. Hier saßen etwa dreißig dunkele Araber kreuzbeinig, umfaltet von weißen Gewändern. Andere standen umher, sprachen und lachten, ohne uns besonders zu beachten. Jeder, der den Hof betrat, that dies barfuß. Das Marmorsteinpflaster war also geweiht, heilig.

Man bot uns höflich eine Bank unter einer Arcade des Hofes. Das Sitzen bekam uns nach den Strapatzen vortrefflich.

Zugleich war es warm, denn außer dem Winde ist’s in Algier nie ernstlich kalt, aber der sehr oft von den Atlasgebirgen her wüthende Sturm fühlt sich desto härter und kälter an. Das seltsame Schauspiel vor uns, die weißen Gewänder, die dunkeln Gesichter, die feurigen Augen, die acht Säulen ringsum – Alles war durch ein einziges großes Licht schwach, aber mit starkem Relief erleuchtet. Unter den braunen Gesichtern auf Weiß mit den scharfgeschnittenen Zügen war ein kohlenpechschwarz glänzender Neger mit dickwulstigen Lippen und mit so viel Weiß in den Augen wie eine Schießscheibe, die nur einen kleinen schwarzen Punkt in der Mitte hat. Er machte sein großes, paukenartiges Tambourin zurecht, um auf ein gegebenes Zeichen gleich loszudreschen. Andere trockneten ähnliche Instrumente über einem Kohlenbecken, um ihnen den vollen Ton zu geben. Unser treuloser, schöner Ali Ben Ali war unter ihnen, ohne uns zu beachten. Seine elastische Jugend contrastirte scharf zu dem alten, vertrockneten Sheikh des Stammes, dem Häuptlinge eines in den Winkeln von Alt-Algier noch geduldeten, aber aussterbenden, wahnsinnigen Cultes. Er erinnerte mich an die Figur des Jeremias, den Verfall des Judencultus beklagend, auf einem Bilde Michel Angelo’s. Die eigentlichen Beni Aissa sahen meist überraschend schön aus mit Geist und Leben

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist die Journalistin: Bessie Rayner Parkes
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_142.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)