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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Todsünde zerbrach noch einmal die schwache Kraft der zarten Frauennerven. Sie konnte sich nicht mehr aufrecht halten, und fiel in seine Arme, an seine Seite in das Moos zurück. „Ich liebe Dich, Rudolf. Ich vertraue Dir. Ich bin Dein Weib.“

Aber auf einmal brach ein Strom von Thränen aus ihren Augen hervor.

„Ich bin in Deiner Gewalt, Rudolf. Ich kann Dir nicht widerstehen. O, ich bin so schwach; der Kopf schwindelt mir; mein Sinn verwirrt sich. Rudolf, Rudolf, mach mich nicht unglücklich. Wenn Du eine Mutter, wenn Du eine Schwester hast, denke an sie.“

Sie umschlang ihn fest. Ihre Brust lag an seinem Herzen. Ihre Augen schlossen sich; sie öffneten sich wieder, und sahen ihn mit einem bittenden Blicke an, aber auch mit einem Blicke der vollsten Liebe. Sie umschlang ihn fester.

„Sei brav, Rudolf,“ hauchte sie.

„Mädchen, Du bist ein Engel der Liebe und der Unschuld!“ rief entzückt der junge Mann. „Jetzt bist Du ganz mein!“

Er erhob sich, und zog sie mit sich auf. Er drückte mit einer Art Ehrerbietung einen Kuß auf ihre schöne, reine Stirn.

„Komm, meine Braut!“

Seine klare, erhobene, feierliche Stimmung gab auch ihr das volle, reine Bewußtsein wieder. Sie legte sich mit dankbarem Vertrauen an seine Brust. So gingen sie langsam, still, selig zu der Laube zurück.

Theodor Erhards Augen sahen ihnen unruhig forschend entgegen. Die Madame Beier schlummerte in ihrem Rausche.

Rudolf Langenau schien auf einmal ein anderer Mensch geworden zu sein, als er in die erleuchtete Laube trat. Das war nicht mehr ein Arbeiter, der in dem Winckelmann’schen Atelier sich seinen kümmerlichen Wochenlohn verdienen mußte, nicht mehr ein armer Lithograph, der bald mit einem andern armen Lithographen ein bescheidenes Geschäft etabliren wollte. Er stand stolz da, hoch aufrecht, in einer befehlenden Stellung.

„Theodor!“

Und Theodor Erhard sprang auf und stellte sich vor ihn, nicht wie sein Gefährte, sondern wie ein Diener, der einen Befehl von seinem Herrn erwartet.

„Herr –“ Er stockte mit einem Blicke auf das Mädchen.

Rudolf Langenau erwiderte den Blick mit einem gewährenden Neigen des Kopfes.

„Was befehlen Sie, Herr Graf?“

Emma Rohrdorf glaubte zu träumen. Sie sah den unterwürfigen Diener an, und warf einen Blick auf den Geliebten, sie sah den stolzen, befehlenden, an Befehl gewohnten jungen Mann. Sie zitterte heftig an seinem Arme.

„Theodor, bestelle den Wagen. Vorher wecke die Frau da.“

Theodor rüttelte die Madame Beier auf.

„Madame, wir fahren.“

Die Frau fuhr aus ihrem Schlummer empor.

„Madame?“ rief sie. „Keine Mutter mehr?“

Sie sah das Paar vor sich.

„Ah, ah,“ grinste die ehrbare Wittwe. „Alles vorüber? Und das Püppchen ist ja auch zufrieden! Ja, ja, der Champagner und ein hübscher Junge! – Gebt mir auch noch ein Glas!“

„Was ist das Alles?“ rief das erbleichende Mädchen.

„Du sollst es erfahren, mein Kind! Verzeihe mir nur.“

Der junge Mann nahm die Hand des Mädchens, und trat mit ihr vor die Frau.

„Madame, sind Sie nüchtern genug, um ein paar Worte zu verstehen? Sie sehen hier an meiner Seite meine wirkliche, vor Gott und bald auch vor der Welt mir verlobte Braut, die Braut des Grafen Rudolf Zilly.“

Die Frau wurde nüchtern, so nüchtern, daß sie aufspringen und gerade stehen und, wenn auch sprachlos, erstaunt und verwundert das Paar anblicken konnte.

Emma Rohrdorf aber drohete umzusinken. Ihr Verlobter mußte sie halten, aufrichten.

„Ich sprach die Wahrheit, mein Mädchen, mein Engel. Du verzeihest mir?“

Damit richtete er sie auf, und hob sie an sein Herz empor.

Theodor kam zurück und meldete, daß der Wagen angespannt sei.

„Zu Deiner Mutter, Emma?“ fragte der junge Mann.

Ein dankbarer, seliger Blick antwortete ihm.

„Teufel!“ wurde unmittelbar vor der Laube eine Stimme laut, und es war die laute, überraschte, fröhliche Stimme des Referendarius, der bei der Polizei seine Carriere machen wollte. „Teufel, da haben wir ja die ganze Gesellschaft beisammen. – Henne, Du bist ein capitaler Kerl. – Gensd’arm Hahn, greifen Sie den großen Burschen, den sauberen Herrn Grafen. Und Sie, Gensd’arm Daum, fassen Sie den kleinen, vierschrötigen Spitzbuben. – Laß Dich einmal besehen, Du kleiner Lump! Richtig, das Gesicht an der Jüdenstraße. Und Du da – ei, wie der Kerl so stolz und vornehm da steht! Nun, nun, bei Cranzler unter den Linden geht es nicht mehr, aber in der Stadtvogtei und nachher im Zuchthause zu Spandau, da kannst Du den Grafen weiter spielen. – Und was für eine Kleine ist denn das? Ei, ei, Sie, Mamsell Rohrdorf? Sie sind schon so angelehrt? Das wirft ein neues Licht auf die Sache; jetzt ist es kein Räthsel mehr, wie die Räuber in das Haus gekommen sind. Mir thut nur Ihre brave Mutter leid. Aber fort, fort nach Berlin. – Henne, noch einmal, Du hast Deine Sachen gut gemacht. Laß Dir ein Glas Bier geben.“




VI.

Es war beinahe zehn Uhr Abends. Der Herr Ehrenreich saß in seinem Arbeitszimmer und schrieb und durchsah seine Papiere. Er schien eifrig mit Rechnen beschäftigt zu sein, und kaum für etwas Anderes Sinn zu haben. Es klingelte draußen; er achtete nicht darauf. Die Thür der Wohnung wurde geöffnet; die Frau Rohrdorf sprach mit Jemandem; die Stimme dessen, mit dem sie sprach, mußte dem Herrn Ehrenreich bekannt sein; er achtete[WS 1] aber nicht auf sie. Es wurde an die Thür des Arbeitszimmers geklopft, in dem er saß. Er empfing sonst seine Besuche nur in dem Zimmer nebenan; er war in seine Arbeit so vertieft, daß er, ohne daran zu denken, herein rief.

Der Polizeidirector trat herein.

„Entschuldigen Sie, Herr Ehrenreich, daß ich Sie noch so spät störe. Ist dies Ihre Uhr?“

Er hielt dem Herrn Ehrenreich eine goldene Taschenuhr hin.

„Alle Wetter ja, Herr; das ist meine Uhr.“

„Die Ihnen hier in der vorigen Nacht gestohlen ist?“

„Dieselbe. Wie kommen Sie zu ihr?“

„Wie die Polizei zu gestohlenen Sachen kommt.“

„Und wo war sie?“

„Im Leihhause.“

„Da hatte der Dieb sie schon versetzt?“

„Schon? Welch ein sichereres Geschäft konnte er machen, als so schnell wie möglich das gestohlene Gut zum Leihhause zu bringen? Beim Verkauf, beim Versetzen an eine Privatperson, hätte er entweder sich nur an Diebesgenossen, an Hehler wenden können, von denen er so viel wie nichts erhalten hätte, oder er wäre als verdächtig angehalten worden.“

„Und in dem Leihhause, einer öffentlich concessionirten, vielleicht privilegirten Anstalt, lief er keine Gefahr, als verdächtig angehalten zu werden? Sonderbare Zustände in Ihrer Stadt der Intelligenz und Aufklärung!“

„Sie fassen diese Zustände da unrichtig auf, Herr Ehrenreich.“

„Ich wäre begierig, zu erfahren, worin meine Auffassung falsch wäre.“

„Erlauben Sie mir einige Fragen; es sind zugleich polizeiliche Fragen über Sie selbst.“

„Sie haben also ein Recht zu ihnen, und ich muß Ihnen antworten.“

„Sie kommen aus Tyrol?“

„Sie können das schon so ziemlich an meiner Sprache hören.“

„Ihr eigentlicher Name ist nicht Ehrenreich?“

„Doch, doch.“

„Nur Ihr Taufname. Ihr Familienname ist Siehuber?“

„Alle Wetter, Herr –. Da Sie es einmal wissen, ja denn.“

„Sie suchen hier einen jungen Menschen?“

„Ja.“

„Einen Taugenichts?“

„Leider.“

„Der aber von guter Familie ist?“

„Von sehr guter, Herr.“

„Und der deshalb geschont werden muß?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: achte
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_426.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)