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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

[WS 1] 3000 Heringsboote und 15,000 Fischer.
Im Districte Greenock:
31 Stationen
 591 Heringsboote und 1800 Fischer.
Im Districte Rothesay:
17 Stationen
 551 Heringsboote und 1600 Fischer.
Im Districte Inverary:
47 Stationen
1062 Heringsboote und 3189 Fischer.
Im Districte Loch Shiel-
ding: 15 Stationen
 307 Heringsboote und 1085 Fischer.
Im Districte Loch
Broom: 42 Stationen
 570 Heringsboote und 2120 Fischer.
Im Districte Stornaway:
 7 Stationen
 418 Heringsboote und 2178 Fischer.
Im Districte Shetlands-
Inseln: 11 Stationen
 655 Heringsboote und 3165 Fischer.
Im Districte Orkney-
Inseln: 32 Stationen
 606 Heringsboote und 2472 Fischer.

  366 Stationen 9339 Heringsboote und 39,709 Fischer.

Also in beinahe 400 Stationen gegen 10,000 Boote mit beinahe 40,000 eigentlichen Heringsfischern, mit den Packern, Reinigern und Trägern über 100,000 Menschen, welche direct als Schnitter und Mäher der Heringsernten an den schottischen Küsten leben.

Sie fangen den Hering in dreierlei Zuständen, als „matic“ (Matjes, am besten, wenn Milch und Rogen noch in zarter Entwickelung sind), als „full fish“ („voller Fisch“ mit vollem Rogen oder voller Milch) oder als „spent fish“ (gespendeten Fisch, der sich ausgegeben hat und mager und wässerig geworden ist).

In England und besonders Irland hält man’s am liebsten mit dem „vollen Fische“; die „Matjes“ gehen nach dem Continente, den ausserdem Holland und Norwegen versorgen. Letzteres liefert als ältester, erfahrenster Heringsfischer die besten Matjes und besser zubereitet, als die schottischen. (Sie lassen einen Theil der Eingeweide darin, die ihnen einen würzigen Geschmack geben sollen.)

Die Holländer arbeiten mit großen Schiffen, früher einmal mehr als 2000, während die Schotten sich in mehr als 10,000 kleine, unbeholfene Boote zersplittern und mit Treibnetzen fangen. Diese, in der Regel 20 Fuß tief und von verschiedenen Längen, werden von ganzen Flotten auslaufender Boote an geeignet scheinenden Stellen nach Sonnenuntergang ausgeworfen, verbunden, mit Senkeisen hinuntergezogen und durch Korke schwimmend erhalten. Durch 200 Fuß lange Taue mit den Booten und nach dem Gestade hin an Anker oder Pfähle befestigt, bieten sie nun im Wasser zusammen oft eine viele Meilen lange Netzwand, gegen welche die in Gruppen von Millionen ziehenden Heringe stoßen und sich mit den Köpfen unentwirrbar in den Maschen verwickeln. Manchmal gibt’s nach nächtelangem Warten keinen einzigen Fisch, so daß man eine andere Gegend aufsucht, um dann vielleicht in einer einzigen Nacht mit einem einzigen Zuge für’s ganze Jahr zu ernten, während andere Boote dicht daneben nicht selten leer ausgehen, da die Heringe in Sectionen und Abtheilungen schwimmen und den in die Zwischenräume fallenden Netzen gar keine Beute liefern.

Nicht professionirte Fischer fangen auch einzeln auf ihre eigene Rechnung in 150 Yards langen „Seine“- oder Ziehnetzen, deren eines Ende am Ufer festgehalten wird, während das Boot mit dem andern in einem möglichsten großen Halbkreise herum segelt, um aus dem hernach an beiden Enden herausgezogenen Netze herauszunehmen, was der Zufall hineinwirrte.

So wie die Heringsflotten den Hafen erreichen, geräth Alles in fieberhafte Thätigkeit. Armeen von Trägern schütten einen sich bald aufthürmenden Silberregen auf den Strand. Frauen und Mädchen, aus den verschiedensten Gegenden herbeigelockt, eben noch Bilder reinlicher, blonder, blauäugiger Unschuld, verwandeln sich in bluttriefende Furien und wetteifern, in jeder Stunde so und so viel über 1000 Fische aufzuschneiden und auszuweiden (jeder mit einem Schnitt und einem Riß). Die so ausgeweideten Fische werden von andern Händen in Schichten mit Salz gepackt, dann von massiven Armen öfter durcheinander gemischt, bis das Faß gefüllt ist, nach einer kurzen Ruhe aufs Neue gesalzen und zuletzt entweder breit oder abwechselnd auf Rücken und Bauch wieder mit Salz in die eigentlichen Tonnen für den Handel wunderbar fest eingepackt. Die Tonnen stehen eine Woche offen (die zum Export bestimmten, welche mit dem Regierungsstempel des „Fisch-Amts“ gebrandmarkt werden müssen, zehn Tage), dann werden sie von extemporirten Böttchern wasserdicht geschlossen und verschifft. Eisenbahnen und Segel- oder Dampfschiffe bringen auch Millionen frisch in alle großen Städte Englands.

Aber die Schotten können bei diesem „Lotteriespiele“ mit kleinen Booten, die unbeholfen sind, leicht untergehen (18. August 1848 nicht weniger als 124 auf einmal) und, da sie nach jedem Zuge an’s Land müssen, nicht reich werden und nicht mit den Holländern concurriren, deren Heringsschiffe, wie Walfischfahrer, Alles am Bord haben und für den Export fertige Tonnen Heringe an’s Land bringen. In Schottland existiren Hunderte von Dörfern und Städten von Heringen, Holland aber wurde reich davon und das stolze Amsterdam „erhob sich auf Heringsgräten.“ Noch jetzt leben etwa 115,000 Holländer glänzender von dem Silber der Heringe, als die 40,000 Schotten, Shetlands- und Orkney-Insulaner, welche geradezu die niedrigste Cultur aller vereinigten Königreiche Großbritanniens in ihren Schmutzhütten darstellen.

Das Parlament gibt jährlich 3000 Pfund für die Verbesserung fast eben so vieler Fischereihäfen Schottlands und pensionirt dabei jedes Jahr ein paar Schock Taugenichtse mit 3 bis 5000 Pfund jeden. Dazu kommt das „Fischerei-Amt“, ein Anstellungs-Augiasstall für unbrauchbare „Noblemen“ und ihre Angehörigen, wie die meisten entlegenen und Colonialämter. Diese Beamten haben jährlich 11,000 Pfund durchzubringen, um für diese Geldverwüstung statistische Nachrichten zu sammeln, die Heringsfässer untersuchen zu lassen und zu brandmarken, ebenso „Fremde“ von den schottischen Fischdistricten abzuwehren, Polizei zu üben und so von allen Seiten das Gedeihen der Fischerei zu cujoniren und zu behindern. Nähme man diese 11,000 Pfund nur ein Jahr zu wirklicher Vervollkommnung der Fischerei und ließe dann die Schotten durch Zurückbehaltung der 11,000 Pfund und der Beamten ungeschoren, so könnte alle Welt bald für die Hälfte des Preises oder noch einmal so viel Heringe genießen, als bisher.

Es heißt, die Amtsstempel auf den Heringstonnen garantiren, daß die Heringe gut gesalzen und gepackt seien. Sie garantiren in der That die Gewißheit, daß sie schlechter sind, als die ungestempelten holländischen Heringe, und sind eine Cujonirung der Fischer, aber keine Garantie für’s Publicum, das nach demselben Principe auch verlangen könnte, daß die Regierung Schuhe und Stiefeln, Stecknadeln und Schwefelhölzer alle einzeln stempeln lasse, damit Jeder eine Garantie gegen Schwefelhölzer habe, die nicht zünden oder von selber „losgehen“. Und wer sorgt für den Berliner Weißbierphilister, daß er jedes Mal „eene jut jeproppte“ bekomme?

Ohne den Hering wäre die ganze Westküste Schottlands lebensunfähig. Nichts ist überraschender als der Contrast zwischen der Herings- und der stillen Zeit. Während letzterer mag die einsame Yacht Tage und Wochen lang die Wogen pflügen oder in eine wilde Gebirgsbucht nach der andern einlaufen, ohne einem lebenden Wesen zu begegnen, als dem wilden Schwane und den schrillen, traurigen Seevögeln. Der Wanderer auf dem Lande in diesen Regionen, wenn es möglich wäre, würde Tage lang nichts sehen, als nebelige Geister Ossians, hohe, dunkele Gebirgsmassen vernebelt, meeresumtobt, von unzähligen Meereseinschnitten und „Lochs“ durchfressen. Und einige Monate später! Nicht ein, nicht hundert, sondern Tausende der geschäftigsten Lebensbilder wimmeln vor seinen Augen. Eine Flotte von 1500 Booten mit geschwellten Segeln schaukelt kühn über die Wogen hinaus, um gegen Abend ein gegen 1000 englische Meilen langes Netz durch das Meer zu spannen und in Sturm und Unwetter die Nacht hindurch zu halten, wenn nicht ein silbern zum Himmel blitzender unbeschreiblicher, dumpfer Donner gegen sie heranbraust – eine Herings-Wanderung – und in ihren Netzen sich zersplittert. Ging die Nacht leer aus, wartet man eine zweite und dritte ab, bis endlich das Meer phosphorescirend aufblitzt und von millionenfachem, sich thatsächlich über die Wogen heraufdrängenden Leben wimmelt. Der Morgen begrüßt dann die jubelnd heimkehrende Flotte, erst kleine Punkte auf dem weiten Meere, dann eine Welt von lustig geschwellten Segeln, die nach einer halben Stunde den ganzen Hafen, vom October bis April leblos, mit dichtgedrängter Geschäftigkeit überfüllen. Die schmutzigen Gestade füllen sich mit silbernen Gebirgen, die Felsen dahinter mit 1000 Meilen Netzwerk,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Übertrag von der vorhergehenden Seite ist unrichtig addiert; es fehlen die 1579 Heringsboote und 7100 Fischer der drei letzten Zeilen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_618.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)