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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

der Nation, legten und für Lehrer und Schüler gleich verderblich wurden. Schon im August desselben Jahres traten unter Metternich’s Vorsitz eine Anzahl deutscher Minister in Karlsbad zu einem Congresse zusammen, um die angeblich revolutionären Tendenzen der Jugend in ihrem Keime zu ersticken. Dort wurden jene bekannten Beschlüsse gefaßt, welche die Lehrfreiheit auf den Universitäten aufhoben, die Presse gänzlich knebelten und jede freie Aeußerung unnachsichtlich der Verfolgung preisgaben.

Ohne Untersuchung, Schuld und Urtheil wurde die deutsche Burschenschaft geächtet; die Mitglieder derselben für unfähig erklärt, ein Staatsamt zu bekleiden.

Es war am 26. November Abends acht Uhr, als sich die Jenaer Burschenschaft im Rosensaal zum letzten Male versammelte, da die sonst so nachsichtige weimar’sche Regierung, durch den Bundesbeschluß gezwungen, ihre Auflösung anbefohlen hatte. Es war ein ernster, feierlicher Augenblick!

Tiefe Trauer drückte sich in der ganzen Versammlung aus; die anwesenden Jünglinge waren von tiefem Schmerz bewegt, die große Idee, deren Verwirklichung sie anstrebten, so verkannt und verdächtigt zu sehen. Sie waren sich bewußt, keine Veranlassung zu einem solch harten Verfahren gegeben zu haben; sie hatten keine Schuld, kein strafwürdiges Verbrechen begangen, indem sie kein anderes Ziel im Auge hatten, als den Geist sittlicher Freiheit und Gleichheit, den Geist der Gerechtigkeit und Liebe zum Vaterlande nach ihren besten Kräften zu fordern. Kein Vorwurf konnte sie damals treffen, da sie offen und vor aller Welt ihre Grundsätze bekannten, fern von jeder Heimlichkeit und Verschwörung, zu der erst später Einzelne unter ihnen durch den Zwang und die Verfolgung gedrängt wurden.

Darum gelobten sie auch jetzt voll Begeisterung mit Hand und Mund, treu zu bleiben dem Geist der Burschenschaft, wenn auch die Form durch die Gewalt der Umstände vernichtet war. In diesem Sinne stimmten sie jenes herrliche Lied an, das der edle Binzer[WS 1] gedichtet hatte, um dem Ausdrucke des allgemeinen Gefühls Worte zu leihen. Es lautete:

Wir hatten gebauet
Ein stattliches Haus,
Und drin auf Gott vertrauet
Trotz Wetter, Sturm und Graus.
- - - - - - - - -
- - - - - - - - -
Das Band ist zerschnitten,
War schwarz, roth und gold,
Und Gott hat es gelitten,
Wer weiß, was er gewollt.
Das Haus mag zerfallen –
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns allen,
Und unsre Burg ist Gott!

Das Schwanenlied der alten Burschenschaft war verklungen; die Anwesenden umarmten sich noch einmal und gaben sich den Bruderkuß. In manchem Auge glänzten helle Thränen. Der Sprecher erklärte die Versammlung für aufgelöst; still und tief bewegt fügten sich die Mitglieder in ihr Geschick, aber die meisten bewahrten in ihrem Herzen jene edlen Grundsätze und Gesinnungen wie ein Heiligthum für ihr ganzes Leben.

Unter diesen befand sich auch Hagen, den seine Wunde in Jena zurückgehalten hatte, trotz des Verbots, das die preußische Regierung bald nach der Ermordung Kotzebue’s an alle Angehörige erlassen hatte, die dortige Universität länger zu besuchen. Da Friedrich damals noch auf dem Krankenbette lag, konnte er dem Befehl nicht sogleich Folge leisten; er blieb noch einige Zeit, nachdem Mutter und Schwester ihn verlassen hatte, da die größte Gefahr vorüber war. – Die Nachricht von Sand’s That hatte er aus Emma’s eigenem Munde erfahren, als sie ihm die nöthige Kraft zutraute, die Schreckensbotschaft anzuhören. Sie selbst schien in unerklärlicher Weise ruhig und gefaßt, so daß sie den erschrockenen und auf das Schmerzlichste ergriffenen Bruder tröstete. Nur war sie noch bleicher, der Glanz ihrer Augen noch überirdischer geworden. Ihre zarte Gesundheit schien zu leiden und sie verfiel seitdem sichtlich, so daß die Mutter ihre Abreise nach Berlin beschleunigte, um mit dem befreundeten Hausarzt der Familie Rücksprache zu nehmen.

Erst nach Auflösung der Burschenschaft kehrte Hagen nach Berlin und in das elterliche Haus zurück; er zögerte noch so lange, weil er es sich nicht versagen konnte, dieser schmerzlichen Feier beizuwohnen. Ein trauriger Empfang erwartete ihn in der Heimath. Mit Thränen in den Augen begrüßte ihn Julie, die nur heimlich ihn sehen durfte, da ihr Vater ihr auf das Strengste anbefohlen hatte, jede Verbindung mit dem „Demagogen“, wie er Friedrich bezeichnete, für immer abzubrechen. Auch sein Vater, der zwar vorurtheilsfrei genug war, seinen Sohn nicht für das Verbrechen eines Freundes verantwortlich zu machen, trat ihm mit trübem Ernst entgegen.

„Ich habe mich,“ sagte er, „leider in dem Charakter Sand’s nicht geirrt. Eine ursprünglich edle Natur ist hier an der Unklarheit der Begriffe und an einer maßlosen Schwärmerei zu Grunde gegangen, indem sich der Unglückliche zu einem Verbrechen hinreißen ließ, das unter keiner Bedingung sich entschuldigen oder gar rechtfertigen läßt. Dieser Mord aber ist um so verwerflicher, da durch ein unglückliches Zusammentreffen der verschiedensten Verhältnisse die Folgen desselben für uns Alle unübersehbar sind. Volk und Regierungen werden in gleicher Weise darunter leiden. Der Geist des Mißtrauens wird das kaum geknüpfte Band gewaltsam zerreißen und Haß, Zwietracht und Feindschaft säen. Ich fürchte eine traurige Zeit der Verfolgung, die auch Dich nicht verschonen wird. Diese That hemmt auf lange Jahre die Entwicklung einer gesetzmäßigen Freiheit und stellt auf’s Neue Alles in Frage, was wir seither errungen haben.“

Leider fanden die Worte des Vaters bald in den nachfolgenden Ereignissen ihre Bestätigung. Es begann jene Zeit der Verfolgungen und Demagogenriecherei, die sich wie eine epidemische Krankheit über ganz Deutschland verbreitete, und in Preußen am stärksten wütheten. Die Gefängnisse reichten nicht mehr hin, alle die Angeklagten zu fassen. Unter ihnen befand sich auch der wackere Turnvater Jahn, der auf die Aussagen eines überspannten Gymnasiasten, welche dieser in seinem Tagebuche niedergeschrieben, plötzlich verhaftet und nach der Festung Colberg geschleppt wurde, wo er mehrere Jahre schmachtete, ehe er entlassen wurde, um seinen gezwungenen Aufenthalt in Freiburg an der Unstrut zu nehmen. – Auch Hagen wurde von einem ähnlichen Geschick bedroht, dem er nur dadurch entging, daß er mit seiner kranken Schwester auf den Rath ihrer Aerzte zuvor eine Reise nach dem Süden angetreten hatte. Emma’s Gesundheit war mit jedem Tage schlechter geworden; ein unheilbares Brustleiden schien sich zu entwickeln, für das sie unter dem milden Himmel Italiens jetzt Hülfe suchen sollte. Auf dem Wege dahin sprach sie mit dem Bruder voll Ergebung in ihr Geschick.

„Ich glaube,“ sagte sie mit einem traurigen Lächeln, „daß ich nicht wieder genesen werde, und betrachte mich wie eine Sterbende. Willst Du meinen letzten Wunsch erfüllen?“

„Rede nicht so, liebe Emma! Du betrübst mich durch Deine Hoffnungslosigkeit; aber gern werde ich thun, was in meinen Kräften steht.“

„So versprich mir, mit mir nach Mannheim zu gehen. Der Umweg ist nicht groß.“

„Wo denkst Du hin? Die Aerzte haben Dir streng jede Gemüthsbewegung verboten.“

„O, ich bin weit stärker, als Du glaubst. Ich muß den Unglücklichen noch einmal vor meinem und vor seinem Ende sehen. Ich fühle, daß ich einer heiligen Pflicht zu genügen, eine große Aufgabe damit zu erfüllen habe. Auch Du wirst von ihm Abschied nehmen und ihn noch einmal umarmen wollen.“

Emma bat so dringend und inständig, daß ihr der Bruder nicht zu widerstehen vermochte. Auch er sehnte sich, den armen Freund noch einmal zu sehen, von dem er wußte, daß er zum Tode verurtheilt war. Weit lieber hätte er ihn aus seinem Kerker befreit, selbst auf die Gefahr hin, sein hartes Loos zu theilen.


VII.
Die Sühne.

Sand saß in seinem Gefängnisse zu Mannheim; ruhig und gefaßt hatte er sein Todesurtheil mit angehört. Sein Aussehen hatte sich durch das Leiden, welches seine noch nicht geheilte Wunde verursachte, und durch die Kerkerluft bedeutend verändert. Seine Wangen waren eingefallen, der Glanz seiner Augen erloschen, seine ganze Gestalt gebrochen; aber sein Muth hielt ihn aufrecht. Eine milde, sanfte Stimmung war über ihn gekommen, vor der sein düsterer Fanatismus weichen

mußte. Er hatte soeben den Abschiedsbrief

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bieger; s. Berichtigung in Heft 11


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_121.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)